Engelsfuerst
Toten
lag seine Waffe, eine 10-mm-Automatik vom Typ
Glock 18 mit aufgesetztem Schalldämpfer.
Alexander ging zum Fenster und riß es auf, damit
das Tränengas abziehen konnte. Dann lief er zurück
zur Treppe und rief nach Elena. Sie kam herauf, und
beide begaben sich zu der Flügeltür.
Alexander klopfte vernehmlich. »Eure Exzellenz,
sind Sie da drin?« Als keine Antwort kam, fügte er
hinzu: »Mein Name ist Alexander Rosin. Ich bin
Journalist. Früher war ich Angehöriger der Schweizergarde. Sie müssen keine Angst mehr haben, Exzellenz. Einer der Männer, die in Ihr Haus eingedrungen
sind, ist tot, von mir erschossen. Der andere ist geflohen.«
Einige Sekunden vergingen, dann wurde ein Schlüssel herumgedreht, aber die Tür wurde nicht geöffnet.
Die P 225 in der Rechten, schob Alexander langsam einen Flügel der Tür auf. Dahinter befand sich eine große, nur schwach erleuchtete Bibliothek mit hohen, endlosen Bücherschränken. Ein alter Mann im schwarzen
Anzug des Klerikers kniete auf dem Boden und preßte
beide Hände gegen die linke Brust. Ein Schweißfilm
glänzte auf seiner hohen Stirn.
»Was ist mit Ihnen, Exzellenz?« fragte Alexander
und steckte seine Waffe ein. »Sind Sie verletzt?«
Egidio Guarducci blickte mit schmerzverzerrtem
Gesicht zu ihm auf.
»Nein, es ist mein Herz. Es hätte ohnehin nicht
mehr lange ausgehalten.« Er rang sich jede Silbe unter
großen Qualen ab. Elena trat vor. »Haben Sie ein Medikament im Haus, das wir Ihnen bringen können?«
Mit zittriger Hand zeigte der ehemalige Erzbischof
von Florenz auf eine Dose, die auf dem Teppich lag.
Sie war geöffnet, und ein paar weiße Pillen waren herausgerollt.
»Habe ich schon genommen.« Er schüttelte
schwach den Kopf mit dem weißen Haarkranz. »Es
scheint nicht zu helfen.«
»Das Telefonkabel unten im Flur ist durchgeschnitten«, erklärte Alexander. »Haben Sie hier noch einen
Anschluß? Dann können wir einen Notarzt rufen.«
»Es gibt keinen zweiten Anschluß.« Guarducci
brachte nur noch ein Flüstern zustande. »Ich wollte
hier meine Ruhe haben. Was ist mit Signora Ferzetti?«
»Tot«, sagte Alexander, ersparte dem Erzbischof
aber die Einzelheiten.
Der alte Mann sah ihn entsetzt an. »Warum das alles?«
»Vermutlich hängt es mit Rosario Picardi zusammen, der vorletzte Nacht in Rom ermordet wurde.
Wahrscheinlich von den Männern, die heute hier eingedrungen sind.«
»Rosario hatte also recht!«
»Womit, Eure Exzellenz?« fragte Alexander.
»Am Dienstag war er hier, um mir Unterlagen zur
Aufbewahrung zu geben. Er wollte sie in Sicherheit
wissen, weil er sich verfolgt und bedroht fühlte.«
»Am Dienstagabend hat er mich angerufen, weil er
sich mit mir treffen wollte«, sagte Elena.
»Da muß er gerade wieder in Rom gewesen sein.«
Guarducci war kaum noch zu verstehen.
Alexander kniete sich vor den Sterbenden und fragte langsam und deutlich: »Wo sind die Unterlagen,
Eure Exzellenz?«
Bei dem Versuch zu antworten krampfte der Erzbischof sich zusammen und fiel auf die Seite. Alexander
beugte sich dicht über ihn und sah mehr, als daß er es
hörte, wie die rissigen Lippen des alten Mannes ein
Wort formten: »Tresor.«
»Wo ist dieser Tresor?«
Alexander haßte es, einen sterbenden Mann so zu
quälen. Aber Guarducci war nicht der erste Tote in
dieser Affäre und würde vielleicht auch nicht der letzte sein, wenn es nicht endlich gelang, die Hintergründe aufzudecken.
Noch einmal sammelte der Erzbischof seine Kräfte,
bäumte sich auf und sagte, jetzt deutlich: »Christus!«
Sein Oberkörper sackte auf den Boden zurück, und
leise brachte er ein letztes Wort hervor: »Samaria …«
Dann lag der alte Kirchenmann still auf dem Rükken, und seine glasigen Augen blickten nach oben, zur
Decke oder noch viel weiter.
»Ja, du bist jetzt bei Christus«, sagte Alexander leise.
»Ich glaube nicht, daß er das gemeint hat, als er von
Christus sprach«, sagte Elena. »Er hat auch Samaria
erwähnt.«
»Ja, und?« fragte Alexander.
»So wird im Alten Testament das nördliche Israel
genannt. Im Neuen Testament ist Samaria die Heimat
der Samariter, ein Teil der römischen Provinz Palästina. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Sterbender,
selbst wenn es ein ehemaliger Erzbischof ist, im Augenblick seines Todes Bibelkunde betreibt. Wenn er
sich wünschte, bei Christus zu sein, hätte er wohl eher
vom Himmel gesprochen oder vom Reich Gottes. Ich
bin ziemlich sicher, daß seine letzten Worte ein Hinweis für uns
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