Engelsfuerst
anderen Macht?« Donati drehte sich zu
ihr um. »Mit was für einer Macht, Elena?«
»Ich denke an den Monte Cervialto und den Engelssee. Dort haben wir eine Macht gespürt, die uns
unbegreiflich erscheint.«
»Die Engelsmacht, sprich es nur aus. Aber der Erdrutsch hat den Engelssee zugeschüttet. Die Macht der
gefallenen Engel stellt keine Gefahr mehr dar.«
»Das eine bedingt das andere nicht«, sagte Alexander, als er bei der verlassenen Tankstelle in den schmalen Weg zum Haus des Erzbischofs einbog. »Damals
schon gab es die Theorie, daß die Macht der gefallenen
Engel an verschiedenen Orten verborgen ist.«
»Auch du, mein Sohn Brutus«, seufzte Donati.
»Mir scheint, ihr zwei wollt euch unbedingt auf eine
neue Totus-Tuus-Verschwörung einschießen.«
»Von Wollen kann keine Rede sein«, widersprach
Alexander. »Aber ich gebe Elena insoweit recht, als all
das nach Totus Tuus aussieht. Und ich denke, wir
sollten auf das Schlimmste vorbereitet sein.«
Donati knurrte unwillig. »In letzter Zeit denke ich
immer öfter, daß ich mir den falschen Job ausgesucht
habe. Wenn man berufsmäßig ständig auf das Schlimmste vorbereitet sein muß, kann das nicht die Erfüllung
sein, sondern nur die Ursache für Magengeschwüre.«
Die Unterhaltung versiegte.
Keiner von ihnen hatte Lust, sich mehr als nötig mit
Totus Tuus zu befassen, jenem religiösen Orden, der
offiziell längst aufgelöst war und, wenn Elena mit ihrer vagen Vermutung richtig lag, noch immer in dunkle Machenschaften verstrickt schien.
Der Regen hatte etwas nachgelassen, doch Alexander mußte mehr als einmal auf Schrittgeschwindigkeit
heruntergehen. Das nächtliche Unwetter hatte etliche
Äste abgerissen, von denen einige auf der Fahrbahn
lagen.
Auf dem Platz vor dem Haus des Erzbischofs
drängten sich so viele Fahrzeuge, daß Alexander Mühe hatte, den Peugeot in die Lücke zwischen einem
roten Alfa Romeo und einem Mannschaftstransporter
der Carabinieri zu zwängen. Im Haus trafen sie auf
einen gewissen Commissario Brega, der die Ermittlungen vor Ort leitete und bereits von seinem Polizeipräsidenten instruiert worden war, Donati und seine
Begleiter in allen Belangen zu unterstützen.
Allerdings schien der Commissario mit dem ergrauenden Lockenhaar darüber nicht eben erfreut,
denn er zeigte sich sehr einsilbig. Vielleicht lag es aber
auch daran, daß er keine großartigen Erkenntnisse
vorweisen konnte. Der heftige Regen schien alle Spuren außerhalb des Hauses verwischt und den flüchtigen Killer hinweggespült zu haben.
»Und der BMW?« erkundigte sich Alexander, der
das Fahrzeug draußen nicht mehr gesehen hatte.
»Wird schon in Florenz von unseren Spezialisten
untersucht«, sagte Brega. »Heutzutage gibt’s ja für alles Spezialisten. Auch den Tresor durften wir nicht
aufbrechen, bevor der Spezialist da ist.«
»Apropos«, meinte Donati. »Ist der Mann inzwischen eingetroffen?«
Brega zeigte zur Treppe und nach oben. »Schon bei
der Arbeit.«
Sie gingen hinauf. Beim Ersteigen der Treppe erinnerte Alexander sich an den gestrigen Kampf und roch
Reste des Tränengases, die sich hier festgesetzt hatten.
Unwillkürlich spürte er ein leichtes Brennen in den
Augen.
In der Bibliothek erwartete sie, umgeben von mehreren Polizisten, ein schmächtiger, bebrillter Mann in
einem schlechtsitzenden Kaufhausanzug. Auf seinem
Gesicht lag ein triumphierender Ausdruck, und er
zeigte betont lässig auf den offenen Tresor.
»Sie kommen gerade rechtzeitig, meine Herren –
Verzeihung, und meine Dame natürlich.«
Sie sichteten den Inhalt des Tresors: ein wenig Bargeld, ein paar Urkunden aus der Vergangenheit des
Erzbischofs und das halbfertige Manuskript eines religiösen Traktats, an dem Guarducci offenbar gearbeitet
hatte. Alexander wollte schon seiner Enttäuschung
Luft machen, da stieß er in der hintersten Ecke auf einen Aktenordner. Er zog ihn heraus, so daß alle die
Aufschrift lesen konnten: IOR.
»Da haben wir ja, was wir suchen!« Donati schnappte sich den Ordner, legte ihn auf einen runden Tisch
in der Mitte des Raums, schlug ihn auf und blätterte
hastig eine Seite nach der anderen um. »Das gibt’s ja
nicht!«
»Was ist, Stelvio?« fragte Alexander. »Hast du die
Lösung gefunden?«
»Eher das Gegenteil«, brummte Donati enttäuscht.
»Endlose Zahlenkolonnen. Das sind alles Unterlagen
aus dem IOR, oder Kopien davon, Abrechnungen
und so weiter. Zahlen, Zahlen, Zahlen. Wie soll man
daraus schlau werden?«
Der Commissario aus
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