Engelsfuerst
erfahren, was wahre Schmerzen sind!«
Er holte zum dritten Schlag aus, aber Larths Stimme fuhr schneidend dazwischen: »Hör auf, Arnth, es
ist genug!«
Der Kahlkopf fing seinen Schlag kurz vor Vels Gesicht ab und drehte sich enttäuscht zu Larth um.
»Was soll das, Larth? Laß mir doch den Spaß!«
»Wir sind nicht zum Spaß hier. Wir brauchen Vel
noch. Wenn du ihn in Stücke haust, nutzt er uns
nichts mehr.«
Widerwillig ließ Arnth von Vel ab. Aber seinen finsteren Blicken war deutlich zu entnehmen, daß Vel
sich einen unversöhnlichen Feind geschaffen hatte.
Auf Larths Befehl setzte sich der Trupp endlich in
Bewegung und marschierte in Richtung des Bergs.
Bald wurde der Weg steil, und loses Geröll erschwerte
den Aufstieg.
Die beiden Gefangenen befanden sich mitten im Pulk
der Männer, so daß eine Flucht unmöglich war. Nach
ungefähr zwei Stunden erreichten sie einen offenen, von
zwei großen Pinien beschatteten Platz, und Larth ordnete eine Rast an. Niemand hatte etwas dagegen, daß
Larthi und Vel sich nebeneinander auf einen niedrigen
Stein setzten, und Larthi säuberte mit einem Zipfel ihres
Kleids sein Gesicht vom Blut, so gut es ging.
Larth trat zu ihnen und reichte ihnen einen Wasserschlauch. »Hiermit geht es besser, und etwas trinken
solltet ihr auch. Vielleicht ist euch der Vorfall mit
Arnth eine Warnung. Wenn ihr euch nicht bald entschließt, euch zu unserer Sache zu bekennen, kann ich
für eure Sicherheit nicht mehr einstehen.«
Seine Schwester sah bittend zu ihm auf. »Dann laß
uns doch gehen, Larth! Ist nicht schon genug Unheil
geschehen?«
»Euch gehen lassen?« Larth schien allein den Gedanken vollkommen abwegig zu finden. »Aber das
geht doch nicht. Ich brauche euch beide, um die
Macht der Ahnen zu entfachen.«
Als Larth sich entfernte und zu seinen Gefolgsleuten ging, sagte Vel: »Dein Bruder meint es wirklich
ernst.«
Tränen glitzerten in Larthis Augen. »Ich weiß
nicht, ob das noch Larth ist. Es ist sein Körper, und es
ist seine Stimme. Aber was er sagt, klingt, als stecke
ein anderer in ihm.«
»Wer?«
»Ich weiß es nicht, Vel, aber für mich steht fest: Es
ist ein böser Dämon!«
Nach einer Viertelstunde ging es weiter. Sie folgten
einem verschlungenen Pfad, der sich zwischen hochaufragenden Felsen in den Berg hineinwand.
Die Abenddämmerung setzte ein, und die dicht zusammenstehenden Felsen verschluckten die Reste des
Tageslichts. Aber darauf waren Larth und seine Leute
vorbereitet. Sie entzündeten Fackeln, und schon nach
kurzer Unterbrechung setzten sie ihren Marsch fort.
Seit der Rast mochten weitere zwei Stunden vergangen sein, als der bislang enge Pfad sich zu einem
ovalen Platz erweiterte, dessen gegenüberliegende Seite an den Berg stieß. Der Trupp hielt an, und staunend
betrachtete Vel das riesige Wandbild, das ein unbekannter Künstler in den Stein gehauen hatte.
Es zeigte eine Stadt, über der geflügelte Männer
schwebten. Diese hielten Schwerter in den Händen,
brennende Schwerter, und die Flammen zuckten, Blitzen gleich, von den Klingen zur Erde, wo sie auf die
Stadt übersprangen und die Dächer in ein Flammenmeer verwandelten.
Obwohl Vel niemals zuvor an diesem Ort gewesen
war, wußte er auf Anhieb, wo er sich befand. Hier also stand der Tempel der Ahnen!
Eine Hand griff nach seiner Rechten und umklammerte sie. Die Hand gehörte Larthi.
»Ich habe Angst, Vel!« sagte sie leise. »Larth fängt
etwas an, dessen er bald nicht mehr Herr sein wird.
Von diesem Ort geht eine ungeheure Kraft aus.«
Auch Vel spürte diese Kraft. Es war, als durchströme etwas Fremdes seinen Leib und seinen Geist, eine
Macht, gegen die der freie Wille eines Menschen bedeutungslos war. War das der böse Dämon, von dem
Larthi gesprochen hatte?
Er wehrte sich gegen die fremde Macht, die von ihm
Besitz ergreifen wollte. Das geistige Aufbäumen
strengte ihn über alle Maßen an, und ihm war, als
brenne ein Feuer in ihm.
Die Geflügelten lösten sich aus dem Wandbild,
umkreisten ihn und stießen drohend ihre flammenden
Schwerter vor. Es gelang ihm, die Angreifer zurückzudrängen. Alle bis auf einen. Ein Geflügelter schwebte, umgeben von einer feurigen Aura, dicht vor ihm.
Aus den Flügeln wurden ledrige Schwingen, und das
eben noch engelhafte Gesicht verwandelte sich in eine
narbige Fratze, einen Ausbund an Bosheit und Häßlichkeit. Das Wesen kam auf ihn zu und breitete die
Arme aus, wollte ihn umschlingen.
»Nein!« schrie Enrico. »Ich will das nicht!
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