Engelsfuerst
rechts von Lucius saß, lehnte sich zurück, aber entspannen konnte er sich nicht. Ein sechster Sinn warnte ihn: Irgend etwas stimmte hier nicht!
30
Rom,
Redaktion des Messagero di Roma
D
a bist du ja endlich!« rief Laura Monicini, sprang
auf, lief um den hufeisenförmigen Schreibtisch
herum und drückte Elena an sich. »Mein Gott, ich habe
mir solche Sorgen gemacht. Was ihr in Frana erlebt
habt, muß schlimm gewesen sein.«
Elena rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Das täglich Brot von Journalisten eben: eine Frau mit durchgeschnittener Kehle, zwei brutale Killer und ein sterbender Erzbischof. Alles in allem ein beschaulicher
Abend in der Provinz.«
»Deinen Humor hast du jedenfalls nicht verloren.«
Die Chefredakteurin klang erleichtert. »Setz dich, ruh
dich aus, und sag mir, was ich für dich tun kann.
Magst du einen Tee?«
»Gern.« Elena setzte sich auf die Ledercouch in der
Konferenzecke und machte die Beine lang. »Das tut
richtig gut, wenn man ein paar Stunden im Auto gesessen hat.«
Laura rief ihre Assistentin an, bat sie, den Tee zu
bringen, und ließ sich neben Elena nieder. »War es
sehr anstrengend?«
»Anstrengungen gehören zu unserem Job. Sagst du
das nicht selbst immer?«
Laura grinste. »Einer der vielen Sprüche aus dem
Seminar ›Wie motiviere ich meine Mitarbeiter?‹. Aber
ernsthaft, Elena, ich mache mir Sorgen um dich. Ich
meine, wegen deines Zustands.«
»Wegen meines Zustands? Wovon sprichst du?«
»Davon, daß du jetzt nicht mehr nur auf dich achtgeben mußt, sondern auch auf dein Kind. In welchem
Monat bist du, im dritten?«
»Ja«, antwortete Elena verblüfft und sah auf ihren
noch flachen Bauch. »Ich dachte, man sieht noch
nichts. Aber jeder scheint es zu wissen. Steht es auf
meiner Stirn geschrieben?«
»Wenn du so willst. Es gibt da so gewisse Anzeichen im Verhalten einer werdenden Mutter, die allerdings den wenigsten Menschen auffallen.«
»Dir aber schon, hm?«
Laura nickte. »Mir schon.«
»Warum?«
»Weil ich Chefredakteurin bin. Ich habe halt ein
Gespür für die verborgenen Dinge.«
»Jetzt verkohlst du mich aber, Laura!«
»Nun laß mir doch meine kleinen Geheimnisse.«
Elena verzog die Lippen zu einem übertriebenen
Schmollmund. »Das ist unfair. Du kennst mein Geheimnis, also will ich auch deins wissen.«
»Ich gehöre zu einer Gruppe von Menschen, die es
sofort erkennen, wenn eine Frau schwanger ist.«
»Das hört sich ja spannend an. Was ist das für eine
Gruppe? Hellseher, Superhelden mit Röntgenblick
oder von Außerirdischen Entführte?«
»So etwas in der Art: Frauen, die selbst schon mal
schwanger waren.«
Elena schluckte. »Du? Aber davon habe ich ja gar
nichts gewußt?«
»Ich sagte doch, es ist ein Geheimnis.«
»Du hast nie von Kindern erzählt.« Elena blickte
sich in dem großen Büro um. »Und ich sehe kein
Bild.«
»Es gibt kein Bild, und es gibt keine Kinder«, sagte
Laura, und aus ihrer Stimme war jede Heiterkeit verschwunden. »Es waren Zwillinge, ein Junge und ein
Mädchen, ich war im siebten Monat, aber ich habe sie
verloren.«
»Das tut mir leid«, sagte Elena und wußte im selben
Moment, wie hohl sich das anhörte.
Ihr dämmerte, wie wenig sie eigentlich über Laura
wußte, die nicht nur ihre Chefin war, sondern eine
gute Freundin, manchmal sogar eine Ersatzmutter.
Aber der überwiegende Teil ihrer Gespräche war beruflich geprägt, selbst wenn sie sich hin und wieder
abends in einem Restaurant oder einer Bar trafen.
Laura hatte nie etwas erzählt, das auf einen Mann
oder Kinder in ihrem Leben hätte schließen lassen. Da
Laura eine attraktive Frau war, war Elena wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß sie ihre kleinen
oder auch größeren amourösen Abenteuer hatte, ohne
damit hausieren zu gehen. Vermutlich spielten Männer in ihrem Leben keine zentrale Rolle, weil der anstrengende Job sie sehr beanspruchte. Hätte Elena sie
in einem Satz beschreiben müssen, wäre wohl ein paradox klingendes »Karrierefrau mit Herz« dabei herausgekommen.
Die Assistentin trat ein und stellte ein silbernes Tablett mit Tee, Zucker und Keksen auf den achteckigen
Glastisch.
Elena war froh über die Unterbrechung, gab sie ihr
und Laura doch Gelegenheit, sich ein wenig zu sammeln. Elena hatte, ohne es zu wollen, einen wunden
Punkt in Lauras Vergangenheit berührt, vielleicht sogar eine Narbe aufgerissen, und sie überlegte krampfhaft, wie sie den Schaden begrenzen konnte.
Aber nachdem die Assistentin den Tee
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