Engelsfuerst
Mondgesicht. »Das war heute das erste Mal.«
»Aber Sie sind mit solchen Fahrzeugen generell vertraut?«
Der Mönch winkte ab. »Nein, wirklich nicht. Wozu
sollen wir uns hier oben mit Autos auskennen? Das
letzte Mal habe ich hinter einem Lenkrad gesessen, bevor ich ins Kloster ging. Vor über zehn Jahren.«
»Das glaube ich Ihnen nicht«, sagte Kübler und fixierte den Mönch. »So geschickt, wie Sie den schwerfälligen Wagen auf der engen Bergstraße gewendet
haben, bringt das keiner fertig, der keine Übung hat.«
Ein Aufblitzen in Giuseppes Augen warnte Kübler.
Er ließ Löffel und Suppenschale einfach fallen und
griff nach dem Sturmgewehr. Der Mönch hatte dieselbe Idee. Beider Hände umklammerten die Waffe, und
ein stummes Ringen entbrannte.
Kübler verstand nicht ganz, was hier vor sich ging.
Was für seltsame Mönche lebten in dem Bergkloster,
welches Ziel verfolgten sie? Diese und andere Fragen
schossen in Sekundenbruchteilen durch seinen Kopf,
ohne daß er sich mit der Suche nach Antworten aufhalten konnte. Sein Instinkt hatte richtig gelegen, aber
leider war ihm zu spät klargeworden, was in seinem
Unterbewußtsein rumorte, seit er in den Mercedes gestiegen war.
Als der Mönch zu Boden ging, glaubte Kübler
schon, er hätte den Zweikampf gewonnen, doch es
war eine Finte. Giuseppe wollte den Schwung der eigenen Fallbewegung nutzen, um Kübler hinaus in den
Regen zu schleudern. Das gelang auch, aber Kübler
ließ das Sturmgewehr nicht los und riß den Mönch
mit sich. Beide Männer wälzten sich über den Boden,
und ihre Kleider waren binnen Sekunden durchnäßt.
Giuseppe verhielt sich, als sei er im Kämpfen mindestens so geübt wie im Beten. Trotzdem gelang es
dem durchtrainierten Schweizer, zuerst auf die Beine
zu kommen.
Er tat so, als wolle er die Waffe loslassen. Der noch
am Boden kauernde Mönch versuchte, das Sturmgewehr an sich zu ziehen. Da packte Kübler wieder fest
zu und stieß Giuseppe den Gewehrkolben gegen den
Kopf. Ein dumpfes Geräusch folgte. Der Mönch ließ
die Waffe los und sackte benommen vornüber.
Nach wenigen Sekunden hatte er sich wieder in der
Gewalt, aber da hatte Kübler sein Gewehr schon an
sich gebracht und richtete es auf den vor ihm knienden Mönch. An Giuseppes rechter Schläfe klaffte eine
Platzwunde, und Blut troff über seine rechte Gesichtshälfte.
»Schluß mit dem Ringelpiez!« keuchte Kübler.
»Noch eine dumme Bewegung, und unter deiner Tonsur gibt es Durchzug! Was soll das? Weshalb greifst
du mich an?«
»Ich tue, was der Herr mir befiehlt«, sagte Giuseppe mit einer Ruhe, die Kübler unbegreiflich war.
»Welcher Herr hat dir das befohlen?«
Der Mönch schwieg, als hätte er die Frage gar nicht
gehört.
»Willst du den Kolben noch mal auf dem Schädel
spüren?« drohte Kübler. »Wenn nicht, antworte
mir!«
Giuseppe schwieg weiter. Kübler sah ihn nach links
schielen, zum Hauptgebäude des Klosters. Dort stand,
in einer offenen Tür, ein anderer Mönch und zielte
mit einem Kleinkalibergewehr auf den Schweizer.
Der ließ sich fallen, keine Sekunde zu früh. Der
Mönch schoß, und die Kugel flog nur eine Handbreit
über Kübler weg. Er brachte das Sturmgewehr in Anschlag und deckte den bewaffneten Mönch mit einem
Feuerstoß ein. Die Kugeln klatschten in die Wand und
durchschlugen eine Fensterscheibe. Zumindest ein
Geschoß mußte sein Ziel getroffen haben. Der Mönch
stöhnte auf und wich taumelnd durch die offene Tür
zurück.
Giuseppe hatte die Gelegenheit genutzt und sich
hinter die nächste Ecke des Stalls gerollt, so daß Kübler ihn nicht mehr sehen konnte. Der Schweizer lag
am Boden, visierte die offene Tür im Hauptgebäude
an und wartete darauf, daß seine Kameraden ihm zu
Hilfe kamen.
Etwas drang durch die unsichtbare Mauer, die Vater
und Sohn umgab, riß Papst Lucius aus seiner Versenkung und brachte ihn zurück in das Krankenzimmer.
Er konnte nicht sagen, wieviel Zeit vergangen war.
Einige Minuten wohl. Aber es hatte genügt, um Enrico zu kräftigen. Sein Atem ging nicht mehr ganz so
flach wie zuvor. Lucius spürte, daß die winzige
Flamme der Lebensenergie in Enricos Körper stärker
geworden war.
Laute Geräusche lenkten ihn ab, Schüsse. Die
Zimmertür wurde aufgestoßen. Der Abt und Bruder
Ambrosio stürmten herein, beide bewaffnet, Tommasio mit einer Pistole und Ambrosio mit einem Gewehr, in dem Lucius die Waffe eines Schweizergardisten zu erkennen glaubte.
»Was …«
Weiter kam Lucius nicht. Eine
Weitere Kostenlose Bücher