Engelsfuerst
Lederjacke, wo die kleine
Pistole steckte, die Laura Monicini ihr gegeben hatte.
War das Schutz genug gegen skrupellose Killer?
Elena hob das linke Handgelenk dicht vor die Augen, so daß sie ihre Uhr trotz der Dunkelheit erkennen konnte. Schon zwanzig Minuten nach zehn. Kam
niemand mehr?
Ihr rechtes Bein schlief ein. Mit einem leisen Ächzen erhob sie sich und ging in dem engen Raum auf
und ab, bis das Bein nach einem schmerzhaften Kribbeln wieder richtig durchblutet war. Als sie ein Geräusch hörte, erstarrte sie in der Bewegung und
lauschte.
Hatte sie sich getäuscht? Hatte sie das Geräusch
vielleicht selbst verursacht?
Nein, da war es wieder: vorsichtige Schritte, die im
gleichförmigen Prasseln des Regens deutlich zu hören
waren und näher kamen! Wer immer das war, er oder
sie mußte sich schon in dem Gang befinden, an dessen
Ende dieser Raum lag.
Elena starrte zu der Türöffnung und bezwang die
Panik, die in ihr aufsteigen wollte. Sie hatte sich schon
mehr als einmal in großer Gefahr befunden, in Lebensgefahr sogar, und doch konnte sie sich nicht daran gewöhnen. Ein Kloß saß in ihrem Hals, und trotz
der Kälte spürte sie den Schweiß auf ihrer Stirn.
Die Türöffnung, die sich in der schwarzen Wand als
etwas helleres Viereck abzeichnete, wurde jetzt von
einem großen Schatten verdunkelt. Etwas blitzte auf –
eine Lampe –, und ein Lichtkegel huschte durch den
Raum, bis er Elena einfing, ihr Gesicht fand und sie
blendete. Abwehrend hob sie die linke Hand vor ihre
Augen.
»Du bist allein?« fragte eine fremde Stimme, rauh
und mit einem lauernden Unterton.
Elena gab sich alle Mühe, ruhig zu klingen: »Nehmen Sie bitte das Licht aus meinem Gesicht, es blendet mich. Und was Ihre Frage betrifft, natürlich bin
ich allein. So haben Sie es doch am Telefon verlangt.«
»Ich habe das ganz sicher nicht verlangt«, sagte der
Mann mit der rauhen Stimme, ohne seine Taschenlampe zu senken.
»Ich bin nicht der, auf den du gewartet hast. Wo ist
er? Und, vor allem, wer ist es?«
»Wenn ich das wüßte, würde ich nicht an diesem
verlassenen Ort auf ihn warten. Aber wo wir schon
beim Fragen sind: Wer sind Sie?«
»Ich bin der, der hier die Fragen stellt.«
»Mit welchem Recht?«
»Mit diesem!«
Jetzt lenkte der Fremde den Strahl der Lampe auf
seine Rechte, in der er eine Automatik mit aufgesetztem Schalldämpfer hielt. Für eine halbe Sekunde
konnte Elena sein Gesicht sehen: grob, kantig und mit
einer dunklen Klappe vor dem rechten Auge.
»Erkennst du mich? Gestern mußte mein Freund
dran glauben, heute bist du an der Reihe. Auge um
Auge, den Spruch kennst du sicher.«
Er sagte das Wort ›Auge‹ mit besonderem Nachdruck und lachte bitter.
In sein Lachen mischten sich die Detonationen der
kleinen Pistole, die Elena aus der Jackentasche heraus
abfeuerte, drei- oder viermal. Gleichzeitig duckte sie
sich, keine Sekunde zu früh. Eine Kugel prallte über
ihr gegen eine Wand und sirrte als Querschläger davon. Der große Mann sank in sich zusammen. Die Taschenlampe fiel auf den Boden, rollte bis zur nächsten
Wand und sorgte dabei für seltsame Lichteffekte.
Mit zitternden Fingern zog Elena ihre eigene Taschenlampe hervor und schaltete sie an. Vor ihr lag
der einäugige Killer, das Gesicht vor Schmerz verzerrt, beide Hände auf den Bauch gepreßt. Zwischen
seinen Fingern quoll Blut hervor.
Schritte und leise, präzise Kommandos hallten
durch das alte Urbanistinnenkloster. Schwerbewaffnete Männer, durch dunkle Kapuzen und Gasmasken
vermummt, stürmten den Raum. Sie gehörten zum
GIS – Gruppo di Intervento Speciale –, der speziellen
Eingreiftruppe der Carabinieri.
Ein Polizist richtete den grellen Strahl der unter
dem kurzen Lauf seiner Maschinenpistole befestigten
Lampe auf Elena und fragte mit unter der Maske
dumpf klingender Stimme: »Geht es Ihnen gut, Signorina?«
»Besser als dem da«, sagte Elena leise mit Blick auf
den Einäugigen. »Sie sollten ihm einen Arzt besorgen,
sonst verblutet er, bevor er Ihren Kollegen Rede und
Antwort stehen kann.«
Der Carabiniere ließ seine Maschinenpistole sinken
und reichte Elena, die sich hingehockt hatte, eine
Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Schwindel
und Übelkeit kamen über sie. Sie wandte sich ab und
übergab sich.
Der Carabiniere reichte ihr ein Taschentuch und
fragte: »Sind Sie doch verletzt, Signorina?«
»Nein, nur schwanger.«
Vorsichtig stieg sie über den Verletzten hinweg und
ging hinaus auf den Gang, wo ihr Alexander
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