Engelsfuerst
stecken schon mittendrin. Du bist
der Lockvogel gewesen, Enrico, mit dem ich an diesen
Ort geholt worden bin. Jetzt hat das Böse seine Widersacher in der Gewalt, die Söhne des Erzengels
Uriel. Weißt du, wie man Uriel auch nennt? Das Feuer Gottes. Er leuchtet den Menschen, wenn sie das
hohe Ziel aus den Augen verlieren. Aber seine Kraft
kann auch verheerend sein. Du selbst hast es gespürt
in deiner Auseinandersetzung mit Tommasio. Dein
Feuer und das seine, beinahe hätte es dich verzehrt.«
»Ich wußte, daß ich heilende Kräfte habe. Aber von
der zerstörerischen Kraft in mir hast du mir nie etwas
gesagt, Vater.«
»Ich hielt die Zeit noch nicht für reif. Jetzt sehe ich,
daß ich mich getäuscht habe. Geahnt habe ich es bereits, als Kardinal Mandume starb.«
»Der Präfekt für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls?«
Lucius nickte und berichtete von den seltsamen
Umständen, unter denen der Kardinal zu Tode gekommen war. »Selbstverbrennung nennt man das,
aber Mandume ist nicht von selbst verbrannt. Er ist
das Opfer eines Engelssohns, der mächtiger war als er
und dem es gelungen ist, die Energie, die in dem Engelssohn Mandume schlummerte, zum Ausbruch zu
bringen wie einen schlafenden Vulkan.«
»Wer ist so mächtig?«
»Der dunkle Engelsfürst.«
»Satan?«
»Satan oder Teufel, das eine wie das andere ist nur
eine Bezeichnung für den Gegenspieler des Guten,
aber nicht der Name eines speziellen Wesens.«
»Aber es gibt so ein Wesen, oder? Ist es Luzifer?«
Lucius bekreuzigte sich. »Ja, sein Name ist Luzifer,
was soviel heißt wie Lichtträger oder Lichtbringer. Er
war der erste Engelsfürst, von Gott dazu ausersehen,
die Engel und die Menschen zu leiten. Aber er berauschte sich an seiner Macht, wurde hochmütig und
stolz, bis Gott ihn und die rebellischen Engel an seiner
Seite verbannte. Die Erzengel, allen voran unser
Stammvater Uriel, wurden die neuen Träger des
Lichts. Unsere Aufgabe, Enrico, ist es, das Böse aufzuhalten. So will es die alte Prophezeiung.«
»Erzähl mir davon«, bat Enrico.
»Es heißt, die Entscheidung über Licht oder Finsternis fällt, wenn Uriels Sohn und der Sohn von
Uriels Sohn gegenüberstehen dem Sohn Luzifers und
dem Sohn von Luzifers Sohn. Von einem Kampf der
Engelsfürsten ist die Rede und davon, daß sich der
wahre Engelsfürst als Sieger erweisen wird. So steht es
in einer alten hebräischen Schrift, die sich im Geheimarchiv des Vatikans befindet. Sie ist nur bruchstückhaft überliefert, und weder ihr Verfasser noch ihre
Herkunft ist bekannt. Deshalb ist bislang auch ihr
Wahrheitsgehalt sehr umstritten gewesen, zumal sie
jedweder konkreten Angabe dazu, wann und wo es zu
diesem Kampf kommen soll, entbehrt. Aber nun, so
glaube ich jedenfalls, hat sich das Rätsel gelöst.«
»Du und ich, Vater, wir sind der Sohn Uriels und
der Sohn von Uriels Sohn – ja, das könnte gemeint
sein. Aber wer sind der Sohn Luzifers und der Sohn
von Luzifers Sohn?«
»Hast du keinen Verdacht, Enrico? Spürst du nichts
in dir, das dir die Frage beantwortet?«
Enrico schloß die Augen und dachte nach. Er erinnerte sich an das Duell mit Tommasio, bei dem er fast
von innen verbrannt wäre, sah noch einmal das Wesen
mit den ledrigen Schwingen und der häßlichen, narbigen Fratze, die alles Böse dieser Welt zu verkörpern
schien.
»Und?« fragte Lucius. »Glaubst du zu wissen, hinter wessen Gesicht sich diese Fratze verbirgt?«
»Aber … ich habe doch gar nichts gesagt!«
»Das Bild in deinem Kopf ist so deutlich, so daß
auch ich es sehen kann. Deine Furcht vor diesem Wesen ist groß, Enrico, aber du mußt die Furcht überwinden. Nur dann können wir siegreich sein!«
»Dieses Wesen, dieser Dämon«, sagte Enrico zögernd. »Wenn ich daran denke, muß ich unwillkürlich
auch an Tommasio denken.«
»Ein seltsamer, gefährlicher Mann, das sagte ich bereits.«
»Glaubst du, er ist Luzifers Sohn?«
»Wenn er es nicht ist, dann dient er ihm zumindest.«
»Wenn er es ist, dann müßte er einen Sohn haben!«
»Was spricht dagegen? Daß er Abt ist?« Lucius lächelte und kam Enrico angesichts der Umstände verblüffend gelöst vor. »Ich bin Papst und habe auch einen Sohn.«
»Du hast recht«, sagte Enrico und dachte an einen
anderen Mönch, noch jung an Jahren.
»Du denkst an den jungen Mann, der sich bei meiner Ankunft als Arzt ausgegeben hat.«
»Ja, Francesco. Ich habe ihn für meinen Freund
gehalten. Aber er hat für mich den Lockvogel gespielt,
so wie ich
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