Engelsfuerst
vermutlich schon mehrere Karambolagen gegeben.
»Hast du Elena informiert, Stelvio?«
»Nein, ich dachte, sie schläft sich besser aus. Die
letzte Nacht muß sie von uns allen am meisten mitgenommen haben.«
Alexanders Gedanken wanderten zurück zu den
Ereignissen in der Klosterruine, und er spürte wieder
die entsetzliche Angst, die er um Elena ausgestanden
hatte.
»Habt ihr aus dem Einäugigen etwas herausbekommen?« fragte er.
»Aus dem wird so schnell gar nichts herauszukriegen sein. Die Ärzte mußten ihn in ein künstliches
Koma versetzen, um sein Leben zu retten. Elenas
Waffe hatte zwar nur ein kleines Kaliber, aber auf so
geringe Entfernung sind Bauchschüsse trotzdem nicht
ohne. Die Ärzte haben es ein Wunder genannt, daß
der Kerl überhaupt noch atmet.« Donati klaubte einen
Zigarillo aus dem Silberetui, das in der Innentasche
seiner Jacke steckte, zündete ihn mit einem ebenfalls
silbern glänzenden Feuerzeug an und lehnte sich mit
geschlossenen Augen zurück. »Wenigstens konnten
wir ihn identifizieren. Mino Pistoni aus Alcamo.«
»Das liegt doch auf Sizilien, wo auch der andere
herkam.«
»Es wird noch besser. Auch Pistoni hat Handlangerdienste für die sizilianische Mafia verrichtet. Vielleicht hat er damals schon gemordet, jedenfalls gab es
vor acht Jahren eine entsprechende Anklage. Das Opfer war der Bürgermeister eines kleinen Dorfes, der
nicht mehr nach der Mafia-Pfeife tanzen wollte. Aber,
o Wunder, plötzlich fanden sich gleich mehrere zwielichtige Gestalten, die Pistoni zu einem Alibi verhalfen. Ein paar Monate später ist er doch in den Knast
gewandert, wegen schwerer Körperverletzung. Und
jetzt rate mal, mit wem er sich in Palermo eine Zelle
geteilt hat.«
»Dann rate ich mal: mit Nuccio Carpi?«
»Hundert Punkte. Nimmst du den Gewinn mit
nach Hause, oder spielst du weiter?«
Alexander lächelte dünn. »Die nächste Frage, bitte.«
»Wie ist es wohl mit dem damals noch zweiäugigen
Kleinmafioso weitergegangen?«
»Vielleicht eine überraschende Hinwendung zu religiösem Gedankengut, die Bekehrung eines Mannes,
der kurz zuvor noch bedingungslos die Befehle seines
Paten vollstreckt hat?«
»Du bist wirklich reif für die Eine-Million-Frage«,
lobte Donati. »Auch Pistoni ist wegen guter Führung
vorzeitig entlassen worden, nur zwei Monate nach
Carpi. Von da an verliert sich beider Spur. Nichts, was
aktenkundig geworden wäre, als seien aus den Teufeln
im Knast tatsächlich Engel geworden.«
»Engel, die urplötzlich einen Rückfall erlitten haben, einen ziemlich heftigen. Falls sie denn jemals bekehrt waren.«
Donati öffnete die Augen und sah Alexander bedeutungsvoll an. »Du sprichst aus, was ich denke.
Vielleicht solltest du doch mal über einen Job bei der
römischen Polizei nachdenken. Ich glaube, ich habe
dir das schon einmal angeboten.«
»Vielen Dank, aber ich bin kein Italiener. Ich befinde mich auch nur geographisch in der EU, nicht, was
meine Staatsbürgerschaft angeht. Die Schweiz ist da
eher zurückhaltend, wie du weißt.«
»Das ist kein Problem. Ich kann es ganz gut mit
dem Innenminister. Ein Telefonat, und du bist schneller Italiener, als du ›Gina Lollobrigida‹ sagen kannst.«
»Ich werd’s mir überlegen. Aber kommen wir auf
die beiden Sizilianer zurück, da ist doch noch mehr,
oder? Ich kenne deinen Ich-weiß-etwas-das-du-nichtweißt-Blick.«
»Ich sage doch, du hast eine Spürnase. In der fraglichen Zeit gab es in Palermo erstaunlich viele vorzeitige Entlassungen wegen guter Führung. Fast alle fraglichen Häftlinge hatten sich im Knast dem Glauben zugewandt. Der damalige Gefängnispfarrer muß der geborene Missionar gewesen sein. Leider blieb er der
Anstalt nicht lange erhalten. Ein paar Monate nachdem Carpi und Pistoni entlassen wurden, hat er seine
Stelle ohne Angabe von Gründen gekündigt. Ein gewisser Tommasio Lampada, übrigens.«
»Nie gehört.«
»Wirklich nicht?«
Alexander dachte nach. »Ich kann mich nicht erinnern. Was ist mit dem Mann?«
»Ich habe mich, soweit es in der knappen Zeit möglich war, etwas genauer mit ihm beschäftigt. Wirklich
eine rastlose Seele, wenn es darum geht, die Geschäfte
des Herrn zu erledigen. Er hat sich nicht nur für die
Rehabilitierung Strafgefangener eingesetzt, sondern
auch lange Jahre in der Nähe von Messina ein Heim
für schwer erziehbare Waisenkinder geleitet, das er
ausschließlich über Spenden finanziert hat. Und im
vergangenen Herbst hat er dann beschlossen, sich der
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