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Engelsfuerst

Engelsfuerst

Titel: Engelsfuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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inneren Einkehr zu widmen, und eine kleine religiöse
Gemeinschaft gegründet. Ein Dutzend frommer Brüder, angeführt von Abt Tommasio, hat sich in ein
längst aufgegebenes Kloster auf einem abgelegenen
Berg zurückgezogen, um dort in Demut zu leben. So
jedenfalls die offizielle Version.«
»Willst du damit andeuten …?«
»Du hast es erfaßt. Unser unermüdlicher Tommasio
Lampada ist der Abt des Klosters, in dem gestern
Papst Lucius verschwunden ist – mitsamt dem Abt
und seinen Brüdern. Das Leben steckt voller Zufälle,
nicht wahr?«
»Karl May hat immer gesagt, daß er nicht an den
Zufall glaubt.«
Donati runzelte die Stirn. »Karl May? Wer ist das?«
Alexander winkte ab. »Den kennt ihr in Italien
nicht.«
Vor ihnen tauchte die Abfahrt nach Ciampino auf.
Alexander sah ein großes Verkehrsflugzeug aus der
dicken Wolkenschicht niedergehen und majestätisch
über der Landebahn einschweben. Es war Wochenende, also befanden sich an Bord vermutlich Touristen,
die sich von dem schlechten Wetter nicht abschrecken
ließen und per Billigflug ein paar Tage in Rom
verbringen wollten.
Aber nicht der zivile Teil des Flughafens war ihr
Ziel, sondern der streng abgeschirmte militärische, wo
Flugzeuge und Helikopter von Luftwaffe, Heer und
Polizei stationiert waren. Ein Transporthubschrauber
der Carabinieri erwartete sie bereits, an Bord ein
zwölfköpfiges Einsatzteam des GIS, angeführt von
dem Offizier mit dem scharfgeschnittenen Gesicht,
der am Abend zuvor den Einsatz bei Sant’Anna geleitet hatte.
»Capitano DelBene!« begrüßte Donati ihn. »Schlafen Sie nie?«
Der Carabiniere lächelte verhalten. »Dasselbe
könnte ich Sie und Ihren Freund auch fragen. Worum
geht es überhaupt?«
»Das Briefing machen wir an Bord. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
DelBene winkte ab. »Das höre ich fast jeden Tag.«
Donati sah ihn ernst an. »Aber heute ist es wahr,
Capitano!«
39
Im Tempel der Ahnen

E
    nrico erwachte mit einem Gefühl der Orientierungslosigkeit. Um ihn her war dämmriges
Licht, das die Konturen in dem kleinen Raum verschwimmen ließ. In seinem Kopf pochte ein dumpfer
Schmerz, begleitet von einem leichten Unwohlsein,
aber insgesamt fühlte er sich besser, kräftiger.
»Ich spüre, daß du dich ein wenig erholt hast, das ist
schön«, hörte er seinen Vater dicht neben sich sagen.
Enrico drehte sich auf die Seite, und unter ihm
quietschte es leise. Erst jetzt bemerkte er, daß er auf
einem Feldbett lag. So wie sein Vater neben ihm.
Nach und nach kehrte die Erinnerung zurück, und
Enrico sah die Ereignisse der vergangenen Nacht wieder vor sich: den Konvoi, der sie vom Kloster hierhergebracht hatte, in das seltsame Tal; die Felswand mit
dem Relief; die Zelte, in denen die Menschen hier
schliefen. In eins der Zelte hatte man seinen Vater und
ihn gebracht, und vor dem Eingang war ein bewaffneter Posten aufgestellt worden.
»Totus Tuus«, murmelte Enrico bei dem Gedanken
an die Wachen mit dem seltsamen Kreuzsymbol links
auf der Brust.
»Was meinst du?« fragte Lucius.
»Ich dachte gerade an heute nacht, und es kommt
mir alles so unwirklich vor. Dieser Ort und die Männer mit dem Totus-Tuus-Kreuz. Das Ganze erscheint
mir wie ein Alptraum, in dem ein längst überwundenes Übel Gestalt angenommen hat.«
»Sag lieber, ein längst überwunden geglaubtes Übel.«
»Hat der Vatikan nicht alles getan, um diesen Orden endgültig aus der Welt zu schaffen?«
»Der Vatikan ist mächtig, aber nicht allmächtig.
Mein Amtsbruder Custos und ich sind die Stellvertreter Gottes auf Erden, Stellvertreter mit besonderen
Fähigkeiten noch dazu, aber wir sind auch nur Menschen, denen Grenzen gesetzt sind. Der Heilige Stuhl
hat sämtliche ihm zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel ausgereizt, um Totus Tuus weltweit zu
ächten. Aber so manches Verbotene blüht im geheimen weiter, und es gibt einige Staaten, in denen der
Einfluß des Vatikans mehr als eingeschränkt ist, um es
vorsichtig auszudrücken. Wir mußten immer damit
rechnen, daß sich hier und da einzelne Zellen des einst
mächtigen Ordens gehalten haben. Daß er aber noch
einmal zu einer solchen Gefahr werden könnte, hätte
ich nicht gedacht.«
»Die Gefahr geht von hier aus, von diesem Ort«,
sagte Enrico, während in ihm die Traumgestalten der
zurückliegenden Nacht erwachten. »Ich habe sehr
schlecht geschlafen. Das Relief draußen an der Felswand wollte in mir lebendig werden. Mir war, als sei
ich mittendrin in der Stadt, die von

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