Engelsfuerst
geringer
Spannung durch seinen Körper floß und eine anregende, belebende Wirkung hatte.
Tommasio wandte sich an Enricos Vater. »Und wie
steht es mit dir, Sohn Uriels?«
»Auch ich spüre die Kraft.«
Tommasio nickte zufrieden.
Er neigte sich zu Giuseppe, flüsterte ihm etwas ins
Ohr, und Giuseppe eilte davon.
Kurz darauf flammte ein großer Scheinwerfer auf
und beleuchtete die Felswand, die steil vor ihnen aufragte. In den Fels war ein großes Relief gehauen, das
eine antike Stadt zeigte.
Männer, Frauen und Kinder flohen aus brennenden
Häusern und liefen in Panik durch die Straßen. Der
Schöpfer des Reliefs war ein Meister seiner Kunst gewesen; die Todesangst war deutlich in jedem einzelnen Gesicht zu lesen. Über den Dächern schwebten
geflügelte Gestalten, Engel vielleicht, die flammende
Schwerter schwangen.
Das Feuer sprang von den Schwertern auf die Häuser über, brachte Zerstörung und Tod über die Stadt.
»Ich kenne dieses Bild«, sagte Enrico leise, während
er sich an seinen Vater klammerte. »Ich habe es mit
Vels Augen gesehen. Wir sind am Tempel der Ahnen!«
4. Tag
Samstag,
15. Oktober
38
Rom
S
chlaftrunken trat Alexander hinaus in einen bewölkten Morgen. Kalter Nieselregen schlug ihm
ins Gesicht, was er nicht einmal als unangenehm
empfand. Der Regen mußte die Dusche ersetzen, um
die Donatis unerwarteter Anruf ihn gebracht hatte.
Donati war sehr kurz angebunden gewesen, er hatte
nur gesagt, Alexander würde in fünfzehn Minuten
abgeholt werden. Alexander sah auf die Uhr: kurz
vor acht. Die fünfzehn Minuten waren noch nicht
ganz um.
Eine schwarze Limousine rauschte heran und hielt
mit quietschenden Bremsen dicht vor ihm. Jemand
stieß die hintere rechte Tür auf.
Es war Donati, der winkte. Alexander schob sich
neben seinen Freund auf den Rücksitz und saß noch
gar nicht richtig, als der Wagen schon wieder losfuhr.
»Morgen«, grüßte Donati mit einer Stimme, die
auch noch nicht ganz munter klang. »Schnall dich lieber an, wir haben es eilig!«
Als hätte er auf das Stichwort gewartet, schaltete
der Fahrer die Sirene an und pappte ein magnetisches
Blaulicht aufs Autodach. Alexander griff nach dem Sicherheitsgurt.
»Was ist denn los, Stelvio? Habt ihr eine Spur von
Laura?«
»Nein, nichts. Sie ist nach wie vor spurlos verschwunden. Und verschwunden ist das Stichwort. Wir
haben eine weitere vermißte Person, und die versetzt
die gesamte italienische Polizei in Aufruhr. Der Innenminister persönlich hat mich angerufen und mich
gebeten, mich der Sache anzunehmen.«
»Als hätten wir nicht genug zu tun«, brummte
Alexander. »Um wen geht es denn? Und warum hast
du mich aus dem Bett geworfen? Ich wollte wenigstens einmal richtig ausschlafen.«
»Du bist doch unser Vatikanexperte.«
»Und?«
»Also kannst du mir vielleicht bei der Suche nach
dem verschwundenen Lucius helfen.«
»Sprichst du von Papst Lucius?«
»Ich kenne keinen anderen.«
Entgeistert starrte Alexander den Freund an. »Erzähl mehr!«
»Wir haben doch gestern nachmittag den Hubschrauber im Vatikan aufsteigen sehen, mit dem Heiligen Vater an Bord.«
Alexander erinnerte sich. »Don Luu sagte, Lucius
wolle zu seinem kranken Sohn nach San … San …«
»San Gervasio«, half Donati nach. »Ein kleines Kloster in den umbrischen Bergen, nördlich von Perugia.
Der Hubschrauber hat Lucius und drei Schweizer in
der Nähe des Klosters abgesetzt, in dem Enrico
Schreiber sich aufhalten sollte, und ist dann weisungsgemäß zur Militärbasis auf dem Flughafen Ciampino
zurückgekehrt. Er sollte den Papst heute wieder abholen. Als es heute morgen unmöglich war, den Offizier
der den Papst begleitenden Schweizer per Handy zu
erreichen, und auch sonst keine Verbindung zu Lucius
oder dem Bergkloster hergestellt werden konnte, ist
der Helikopter trotzdem gestartet. Mit einem Suchtrupp an Bord, der das Kloster erkundet hat.«
Alexander hing an Donatis Lippen. »Und?«
»Abgesehen von ein paar Toten ist niemand da.«
»Tote? Was für Tote?«
»Zwei der drei Schweizer und ein Mönch. Nach allem, was ich bis jetzt weiß, und das ist nicht viel, hat
dort ein Feuergefecht stattgefunden.«
»Und es gibt keine Spur von Lucius und Enrico?«
»Wir werden uns gleich vor Ort selbst ein Bild machen.«
Nun wußte Alexander, wohin sie fuhren: zum
Flughafen Ciampino. Die Limousine preschte mit
aberwitzigem Tempo durch den morgendlichen Verkehr und hatte den Innenstadtbereich bald hinter sich
gelassen. Ohne Sirene und Blaulicht hätte es
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