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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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hast wirklich keine Ahnung, oder?“
    Ángel zuckte bei diesen Worten zusammen.
    Wolfgang strich sich über die Stoppeln auf seinem Kopf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. „Im Barock durften Frauen nicht in der Oper singen. Um Frauenrollen trotzdem mit hohen Stimmen zu besetzen, ließ man damals Kastraten diesen Part singen. Kastraten sind Männer, die vor ihrem Stimmbruch, also als kleine Jungs, kastriert wurden, um so ihre hohe Sopranstimme zu erhalten. Mittlerweile gibt es, Gott sei Dank, keine Kastraten mehr. Die Stücke werden jetzt meistens von Frauen gesungen …“
    „Ich dachte mir“, sagte Ángel leise, so dass man seine Stimme fast nicht hörte, „wenn ich das Lied genauso wie auf der CD singe, ist es richtig.“
    Wolfgang sah ihn verblüfft an. „Du musst dich für nichts entschuldigen, Ángel. Du bist wirklich unglaublich … Heute werden diese Stücke entweder von Sopranistinnen oder von so genannten Countertenören gesungen. Countertenören haben eine besondere Stimmtechnik, die es ihnen ermöglicht, mit Hilfe ihrer Kopfstimme und der Resonanz des Brustraumes ebenfalls diese enormen Höhen zu erreichen.“ Wolfgang lehnte sich an sein Hochbett und verschränkte zufrieden die Arme vor der Brust. „Und nun rate noch mal, welche Stimmlage du gerade gesungen hast!“
    „Countertenor?“, fragte Ángel zögerlich.
    „Countertenor in Sopran-Lage.“ Wolfgang wartete auf eine Reaktion, doch Ángel rührte sich nicht.
    „Weißt du, wie selten so eine hohe reine Falsettstimme ist?“
    Ángel zuckte mit den Schultern.
    „Die Gesegneten merken es wirklich immer als Letzte …“ Wolfgang schüttelte den Kopf. „Junge, du machst deinem Namen alle Ehre. Ángel mit der Engelsstimme.“ Wolfgangs Augen strahlten. „Würdest du mir die Freude machen, mal zu einem Musikabend mitzukommen? So was in der Art wie damals im Santos? Und würdest du dort noch mal dieses Stück singen? Den Leuten wird vor Staunen der Mund offen stehen bleiben, das kannst du mir glauben.“
    Als Ángel zögerte, fügte Wolfgang grinsend hinzu: „Für dich würde auch ein Abendessen rausspringen … eins ohne Rührei.“

11.
    11.
     
     
    Martin saß mit seinen Eltern am Abendbrottisch und legte sich gerade eine Scheibe Käse aufs Brot.
    „… und dann habe ich dieser Frau gesagt, wenn sie den Mantel ohne den Pelzkragen kaufen will, muss sie woanders hin gehen. Meine Boutique ist für ihre besondere Beratung, ihren Stil und ihre Extravaganz bekannt. Ich würde den Mantel niemals ohne Kragen verkaufen. Soll sie doch zum Discounter um die Ecke gehen. Da bekommt sie auch Mäntel.“
    Martin sah konzentriert auf die Krümel, die sich auf seinem Teller befanden, während sein Vater sich hinter einer Zeitung versteckte. Die Mutter, die wie jeden Abend das Gespräch am Laufen hielt, redete unbeirrt in Richtung ihres Mannes weiter. „Du gibst mir doch Recht, Heinz? Ich muss meiner Linie treu bleiben. Ein verkaufter Mantel mehr oder weniger macht das Kraut doch auch nicht fett, oder?“
    „Da hast du Recht, Elvira.“ Die Stimme des Vaters klang monoton hinter der aufgeschlagenen Tageszeitung hervor.
    Martin legte sein Messer auf dem leeren Teller ab und schob den Stuhl zurück.
    „Wo willst du noch hin, Marty?“, fragte seine Mutter.
    „Er ist alt genug, Elvira. Er muss keine Rechenschaft mehr ablegen“, erklang die Stimme des unsichtbaren Vaters.
    „Lass mich doch, Heinz. Ich will eben am Leben meines einzigen Sohns teilhaben, nicht so wie andere an diesem Tisch.“
    Jetzt fing das wieder an. Martin stöhnte innerlich auf und nahm sich, wie immer an solchen Tagen, vor, zur Abendbrotszeit lieber nicht zu Hause zu sein. Als er aufstehen wollte, griff die Mutter nach seinem Unterarm. „Was ist denn das?“
    Sie schob den Ärmel seines T-Shirts hoch, während sie ihn immer noch fest hielt. „Sag mal, hast du dir jetzt noch so eine Tätowierung machen lassen?“
    „Nein, das ist doch die Alte, die du schon kennst.“
    „Martin, belüg mich nicht! Ich weiß genau, dass du an diesem Arm noch keine Verunstaltung hattest. Lass mal sehen.“
    Schnell schob sie ihm den Ärmel bis zur Schulter hoch.
    „Bist du wahnsinnig? Was ist in dich gefahren? Willst du deinen gesamten Körper verschandeln? Heinz, schau dir mal an, was dein Sohn mit dem Geld macht, was er von dir bekommt.“
    „Mutter, das Geld für dieses Tattoo habe ich mir selber verdient. Eure Knete brauch ich dafür nicht.“
    „Ach? Selber verdient? Erzähl mir nur

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