Engelsgesang
bis auch das verstummte und sein Atem ruhig wurde. Er war endlich eingeschlafen.
Behutsam bettete Martin ihn auf sein provisorisches Lager und zog ihm eine Decke über den Körper.
„Was zum Teufel ist vorgefallen?“, brach es aus ihm heraus, als er in den Garten hinaustrat, wo Wolfgang ihm wortlos eine Zigarette entgegenhielt. Obwohl man Martin die Bemühungen ansah, seine Stimme unter Kontrolle zu halten, hallte sie schneidend durch die Nacht.
„Bitte, beruhig dich. Ich erkläre dir ja alles“, sagte Wolfgang mit schuldbewussten Blick. Er setzte sich auf die Treppe und begann seine Finger vorsichtig zu bewegen. Die Gelenke hatten sich inzwischen blau verfärbt. „Scheint nur verstaucht zu sein“, flüsterte er und begann, sich ungeschickt einen Verband anzulegen.
Martin sah mit kalten Augen auf ihn herunter. „Und? Was interessiert mich das? Erzähl endlich, was passiert ist!“
„Das war Angels Vater“, begann Wolfgang und hob kurz seine bandagierte Hand, „Das hat er getan, nachdem er sich an ihm vergangen hat.“
„Was? An wem?“
„An seinem Sohn … an Angel“, Wolfgang schluckte. „… auf der Toilette … und es scheint nicht das erste Mal gewesen zu sein, dass er seinen Kindern so etwas antut.“
Martin atmete tief durch und blickte zum Himmel hinauf, an dem die Regenwolken eine kurze Pause eingelegt hatten. Er strich sich mit der Hand über die Stirn. Dann fragte er „Und du? Warum hast du das nicht verhindert?“
Wolfgang hob abwehrend seine verbundene Hand. „Ich habe es versucht. Aber ich bin gegen seine Aggressivität nicht angekommen.“
„Weißt du zufällig, wo dieser Scheißkerl wohnt?“, fragte er
„Sein Vater? Angel hat nie darüber gesprochen, aber ich habe mal seine Taschen durchgesehen, als er im Bad war. Er wohnt irgendwo in einem kleinen Kaff südlich von München.“
„Gib mir die Adresse!“
„Wieso? Was willst du dort?“
„Was ich dort will? Ich werde diesem Scheißvater einen Besuch abstatten, ihn um die Zeugnisse bitten und ihm dann das Genick brechen.“
„Auf solche Ideen kann nur ein junger Mensch kommen. Wir sollten die Polizei rufen!“
„Die Polizei? Bist du noch bei Sinnen? Dieser Kerl braucht eine Abreibung. Die Polizei können wir dann immer noch rufen. Gib mir die Adresse, Wolfgang. Sonst bekomme ich sie allein raus, sei dir da sicher.“
„Okay, okay“, sagte Wolfgang und mied Martins Blick, in dem er außer Kampfeslust auch einen Funken Irrsinn zu glimmen sehen glaubte. „Ich geb’ dir die Adresse, aber du solltest echt nicht allein zu diesem Wahnsinnigen fahren. Er ist unberechenbar. Lass uns gemeinsam hinfahren.“
Einen Moment sah Martin ihn abschätzend an und Wolfgang glaubte, er würde ablehnen.
„In Ordnung, aber wir sollten uns beeilen. Je eher wir dort sind, umso besser können wir ihn überrumpeln.“
„Gut, aber ich glaube, wir haben noch ein Problem. Wir können Angel nicht allein lassen.“
„Angel schläft. Den wird nicht mal eine Elefantenherde wecken. Aber wenn es dich beruhigt, rufe ich eine Freundin an“, sagte Martin spontan. „Sie passt auf Angel auf, solange wir weg sind.“
„Eine Freundin von dir?“ Wolfgang sah Martin misstrauisch an. „Eine gute Freundin?“
„Das geht dich nichts an, Wolfgang!“ Mit einem finsteren Blick kam er dicht an ihn heran. „Ich glaube, wir sollten sowieso mal eins klären. Damit es zu keinen Missverständnissen zwischen uns kommt. Angel hat sich für mich entschieden. Auch wenn es dir nicht passt. Ich bin sein Freund. Bei dir wohnt er nur … vorläufig. Hast du das verstanden?“
„Da hat wohl Angel das letzte Wörtchen zu reden …“
„Reden kann er aber gerade nicht.“
„Dann müssen wir eben warten, bis er es wieder kann.“
„Dafür haben wir aber keine Zeit.“
Beide hatten ihre Stimmen angriffslustig erhoben.
„Ja, wir haben keine Zeit. Da gebe ich dir ausnahmsweise recht“, lenkte Wolfgang ein. „Wir haben eine Aufgabe. Ich frage mich nur, ob wir das schaffen, ohne uns dabei gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Wir müssen uns vertragen, wenigstens für kurze Zeit.“ Wolfgang streckte ihm seine rechte, unversehrte Hand entgegen. „Gib mir einen Handschlag auf unseren Deal. Frieden, bis wir Angels Probleme gelöst haben, Grufti.“
Martin musterte die dargereichte Hand. „In Ordnung, Frieden. Ich bin mir nur nicht sicher, wer von uns beiden hier schon mehr nach Friedhofserde riecht. Von wegen Grufti …“
Wolfgang lächelte
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