Engelsgrab
noch was, ehe ich gehe?«
»Ja. Harvey soll warten, bis Dr. Jenkins kommt. Sie fährt mit Ihnen.«
»Wie Sie wünschen, Chef«, entgegnete Adamson mit belegter Stimme.
Als er den Raum verlassen hatte, drehte Brady sich zu Jenkins um.
»Was soll das werden?«, fragte sie und hob die Schultern. »Natürlich möchte ich helfen, aber weshalb wollen Sie mich denn auch noch mit den beiden losschicken?«
»Weil Sie dort gebraucht werden. Adamson kann nicht mal einen Telefonanruf richtig bewerten, geschweige denn die Reaktion eines Elternpaars, das ein ermordetes Kind identifiziert.«
»Und was steckt sonst noch dahinter?«
»Unser Mordopfer war noch ein Kind. Ein fünfzehnjähriges Mädchen. Sie wurde erwürgt, aber das war dem Mörder noch nicht genug. Aus irgendeinem Grund hat er beschlossen, ihr Gesicht unkenntlich zu machen, als wäre es ihm zu hübsch gewesen.« Brady blickte zu den Fotos am Whiteboard, auf denen das zerfetzte Gesicht in allen Einzelheiten abgebildet war.
Dann schaute er Jenkins an. »Ich werde all meine Leute einsetzen, um den Mörder zu fassen. Aber hier gibt es eine psychologische Komponente, und dafür brauche ich Sie, Dr. Jenkins.«
Es war ein billiger Trick gewesen, aber ihre Augen leuchteten auf. Sie hatte einen Abschluss in Kriminalpsychologie und sich erst später der medizinischen Psychologie zugewandt. Auch deshalb hatte es ihn gewundert, dass Gates sie für diese Ermittlung angefordert und sie tatsächlich eingewilligt hatte. Im Geist notierte er sich, Dr. Amelia Jenkins’ Vergangenheit irgendwann einmal eingehend zu beleuchten und herauszufinden, was hinter ihrem Wechsel von der Kriminologie zur Privatpraxis stand.
»Wie kommt es, dass Sie sich über die Identität der Toten so sicher sind?«, fragte Jenkins. »Die Tätowierung auf den Fotos ist aufwendig und kunstvoll gestaltet. Bei einer Fünfzehnjährigen ist so etwas doch eher ungewöhnlich.«
Brady blieb beharrlich. »Mag sein, aber möglicherweise haben wir es auch nicht mit einer gewöhnlichen Fünfzehnjährigen zu tun.«
Jenkins hob die Brauen.
»Spricht da etwa Ihr Instinkt?«
Brady zuckte die Achseln. »Nennen Sie es, wie Sie wollen.«
Er trat an den Konferenztisch und schenkte sich aus einem Krug ein Glas Wasser ein. Während er das lauwarme Wasser trank, spürte er ihren Blick und stellte das Glas ab.
»Wenn Sie in der Leichenhalle sind«, nahm er den Faden wieder auf, »dann achten Sie bitte genau auf die Reaktion des Vaters.«
»Warum übernehmen Sie die Sache eigentlich nicht selbst, wenn Ihnen das alles so wichtig ist?«
»Weil der Vater bei mir auf der Hut ist. Ich glaube, dass er etwas verbirgt, und das weiß er. Ohne mich wird er vielleicht unverstellt reagieren. Wenn Sie aufpassen, werden Sie sehen, dass er seine Tochter anhand der Tätowierung erkennt.«
Jenkins schüttelte den Kopf. »Das klingt mir alles ein wenig weit hergeholt.«
»Meinetwegen, aber ich garantiere Ihnen, dass Louise Simmons, die Mutter, die Tote nicht erkennt. Nur widerstrebend wird sie zugeben, dass Kleidung und Haare ähnlich sind, aber bestreiten, dass sie ihre Tochter ist. Denn soweit sie weiß, trägt ihre Tochter weder einen Nabelring noch ein Drachentattoo unter der linken Hüfte. Natürlich möchte niemand wahrhaben, dass sein Kind tot und sogar ermordet worden ist, aber Louise Simmons schon gar nicht.«
»Warum? Warum soll sie sich anders als jede andere Mutter verhalten?«
»Weil ich glaube, dass sie sich schuldig fühlt. Ganz sicher hat sie gewusst, dass im Leben ihrer Tochter irgendetwas nicht stimmt, dass es womöglich sogar zu selbstzerstörerischem Verhalten geführt hat. Aber sie hat darüber hinweggesehen. Vielleicht hat sie es darauf zurückgeführt, dass ihr Exmann und Sophies Vater vor einem Jahr Selbstmord begangen hat.«
»Mein lieber Mann«, sagte Jenkins. »Wenn das nicht tiefschürfend ist. Und all das verrät Ihnen Ihr Instinkt?«
»Eher meine Unterlagen«, entgegnete Brady. »Vor einem Jahr hat sich Alex Washington von der Tynebrücke gestürzt. Wie es hieß, litt er an Depressionen, stand beruflich unter Druck, und sein Privatleben war eine Katastrophe. All das wird Louise Simmons herangezogen haben, um sich das Benehmen ihrer Tochter zu erklären, die wahrscheinlich jeden Mist gemacht hat, der Teenagern heute so einfällt. Hätte sie von der Tätowierung gewusst, hätte sie sich darüber auch nicht gewundert.«
Jenkins lachte auf. »Wissen Sie eigentlich, wie alt Sie sich anhören?«
»Ich bin
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