Engelsgrab
gefischt.«
»Gesprungen oder geschubst?«, fragte Brady, obwohl er in Gedanken noch bei Madley war.
»Was interessiert Sie das?« Wolfe trank einen Schluck Bier. »Haben Sie mit Ihrem ermordeten Mädchen nicht genug zu tun?«
»Da spricht eben der Polizist aus mir.«
»Ich tippe auf Selbstmord, aber sicher bin ich mir noch nicht.«
Wenigstens ist es nicht Jimmy, dachte Brady, denn den hätte Wolfe erkannt. Suchend drehte er sich nach dem Barmann um.
»Möchten Sie noch ein Bier?«, fragte er Wolfe und stand auf.
»Ich möchte eine Zigarette«, keuchte Wolfe. »In meinem Alter will man nicht draußen stehen und sich beim Rauchen den Hintern abfrieren.«
Besorgt sah Brady zu, wie Wolfe nach Atem rang.
»Keine Bange. Kommt nur vom Nikotinmangel«, keuchte er atemlos und klopfte auf seine Brust.
Kopfschüttelnd ging Brady zur Theke und gab seine Bestellung auf.
Als er mit einem Bier und einer Limonade zurückkehrte, schaute Wolfe ihn fragend an.
»Sind Sie krank?«, wollte er wissen und betrachtete Brady prüfend. »Das ist das erste Mal, dass ich Sie mit so was sehe. Ein gutes Zeichen ist das nicht, jedenfalls nicht aus der Sicht eines Mediziners.«
Brady lachte auf und stellte seine Limonade ab. Wie allen Trinkern war Wolfe Abstinenz verhasst, und nüchtern zu sein hielt er für einen unfreiwilligen Zustand. So weit war Brady trotz allem noch nicht.
»Es ist mein erster Tag im Dienst«, entschuldigte er sich. »Alles geht drunter und drüber, und ich brauche einen klaren Kopf.«
»Liegt es an Ihrem Mordfall oder an Ihrem Freund Jimmy?«
»Was haben Sie über Matthews gehört?«, fragte er und bemühte sich, nicht besorgt zu wirken.
»Nur dass er am Tatort ein wenig in die Knie gegangen ist und vom Mordfall Sophie Washington abgezogen wurde. Warum? Gibt es noch mehr?«
»Nein, mehr weiß ich auch nicht.«
Wolfe schüttelte den Kopf und betrachtete Brady.»Sie sehen scheiße aus. Kommen Sie, trinken Sie was Ordentliches.«
»Auf gar keinen Fall.«
»Wie lange kennen wir uns jetzt schon?« Wolfe beugte sich vor.
»Zu lange.«
»Na also. Und deshalb weiß ich auch, dass Ihnen etwas auf die Seele drückt, wenn Sie nicht trinken.«
»Einigen wir uns darauf, dass mir mein erster Tag an die Nieren geht.«
»Das nehme ich Ihnen nicht ab.«
Brady zuckte die Schultern.
»Ah, es geht um Claudia!« Bekümmert schüttelte Wolfe den Kopf. »Tut mir leid, alter Junge. Hätte ich mir denken können.«
Mit einem Mal erinnerte Brady sich an die Konzertkarten, die er vor Monaten gekauft hatte, kurz vor dem Tag, an dem er angeschossen wurde, und die er in die Innentasche seiner Lederjacke gesteckt hatte. Sie waren für ein John-Tavener-Konzert und als Überraschung für Claudia gedacht gewesen. Er tastete danach und stellte fest, dass er sie noch immer bei sich trug. Entschlossen zog er den Umschlag heraus und schob ihn über den Tisch.
»Was ist das?«, fragte Wolfe und zog die beiden Konzertkarten heraus.
»Weil ich sie vor langer Zeit gekauft habe und keine Verwendung mehr für sie habe.«
»Ja, aber – wie sind Sie denn überhaupt daran gekommen. Das Konzert war doch schon nach wenigen Tagen ausverkauft.«
»Ich habe einen guten Kontakt.«
»Trotzdem.« Wolfe steckte die Karten zurück. »Die kann ich nicht annehmen. Das wäre nicht richtig. Laden Sie Ihre Frau dazu ein, vielleicht –«
Brady schüttelte den Kopf. »Claudia ist mittlerweile in London und wird wohl auch nicht mehr zurückkommen.«
Wolfe wirkte noch immer unschlüssig.
»Bitte«, drängte Brady. »Sie würden mir einen Gefallen tun. Nehmen Sie eine Freundin mit oder sonst jemanden, dem Sie eine Freude machen möchten.«
Brady liebte die Musik von John Tavener schon, seit er sie vor zehn Jahren zum ersten Mal gehört hatte. Insbesondere ein Stück mit dem Titel The Protecting Veil hatte es ihm angetan. Aber allein zu dem Konzert zu gehen würde er nicht schaffen. Er wollte nicht inmitten fremder Menschen Musik hören, die ihn an das erinnern würde, was er verloren hatte. Da saß er lieber in seiner Wohnung und tröstete sich mit einer Flasche Scotch.
»Seit wann habe ich eine Freundin?«, fragte Wolfe, als er die Karten endlich annahm.
Tatsächlich hatte er Wolfe nie mit einer Frau gesehen. Der Mann war in erster Linie mit seinem Beruf verheiratet und in zweiter mit dem Alkohol, wobei Brady nicht einmal wusste, was inzwischen an erster Stelle kam.
Dennoch war Wolfe immer tadellos gekleidet, trug Seidenhemden unter
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