Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
letzten Wunsch, seinen Tod betreffend, nicht erfüllt hatte, war hier auf dem Friedhof allgegenwärtig. Er und Wolfgang hatten so gut wie nie über den Tod gesprochen, wenigstens nicht ihren eigenen. Einmal, als ein gemeinsamer Freund bei einem Unfall ums Leben gekommen war, da hatte Wolfgang gesagt, es grause ihm bei der Vorstellung, einmal von Würmern und Maden zerfressen zu werden. Wenn schon, so würde er eine Feuerbestattung vorziehen. Man sei dann wenigstens sicher, nicht lebendig begraben zu werden …
Aber Wolfgang würde, soviel wenigstens war gewiss, niemals in seinem Sarg erwachen. Er war obduziert worden, und nach allem, was Markus Kessel wusste, waren seine Überreste unter keinen Umständen mehr lebensfähig. Er hatte sich bei einem Freund, der im Krankenhaus arbeitete, erkundigt. Nach einer Obduktion war ein toter Körper nicht mehr als eine leere Hülle, in die man die entnommenen Organe wieder hineinstopfte wie Äpfel in eine Weihnachtsgans, wenn überhaupt …
Allein den Gedanken, was sie mit einem Körper anstellten, um ihm sein letztes Geheimnis, das eines unnatürlichen Todes, zu entreißen, hätte Wolfgang zutiefst verabscheut.
Und verbrannt worden war seine Leiche auch nicht. Man hatte seiner nächsten Verwandten, Wolfgangs Schwester aus Stuttgart, von einer Urnenbeisetzung abgeraten. Wer weiß, vielleicht wollten sie an das, was übrig war, in ein paar Jahren noch mal ran …
Ihn hatte keiner gefragt. Als schwuler Lebenspartner hatte er in diesem Fall wenig Rechte am Tod seines Freundes. Sie hatten auf Wolfgangs Wunsch hin ihre Beziehung nie an die große Glocke gehängt. Als Besitzer vom Restaurant Kupferhaus war Wolfgang im lokalen Umfeld recht bekannt gewesen. Es war zwar immer wieder das Gerücht aufgekommen, dass er schwul sei, aber ein unbestätigtes Gerücht war ja auch unterhaltsamer als eine platte Tatsache. Hin und wieder hatte Wolfgang sich einen Spaß daraus gemacht und war in weiblicher Begleitung auf einem Empfang oder einer offiziellen Veranstaltung erschienen. Er hatte viele Freundinnen gehabt, die seinen Lebensstil und seinen Humor sehr schätzten; und sein hervorragendes Essen natürlich.
In Wolfgang Biederstätts Leben hatte es dadurch recht viele Frauen gegeben. Aber wer zum Teufel war diese eineFrau gewesen, die ihm in der Küche von Wolfgangs Restaurant über den Weg gelaufen war? Eine ihm unbekannte Frau, die dort, wo sie sich umsah, eindeutig nichts verloren hatte. Sie war hübsch gewesen, aber mit einem Ausdruck im Gesicht, als sei mindestens eine Schraube bei ihr locker. Der Blick ihrer leeren, kalten Augen hatte sich in Kessels Gedächtnis eingebrannt wie ein glühendes Stück Metall.
Nachdem Wolfgang eine Woche später im Keller vom Kupferhaus ermordet worden war, hatte er sich sofort wieder an die Begegnung mit dieser Frau erinnert. Er hatte sie bei seiner ersten Vernehmung der Polizei gegenüber erwähnt. Aber seine Beschreibung ihres Zusammentreffens hatte selbst in seinen Ohren ungenau und ein bisschen überspannt geklungen. Der ihn vernehmende Kommissar hatte alles pflichtschuldig notiert. Aber über seinen Vorschlag, ein Phantombild von ihr anfertigen zu lassen, hatte er nur den Kopf geschüttelt.
Ich muss noch einmal zur Polizei, schoss es ihm durch den Kopf.
Bei der Erinnerung an die beiden Kripobeamten, von deren Fähigkeiten es nun wohl abhing, ob Wolfgangs Mörder gefasst würde oder nicht, überkam Markus Kessel ein dumpfes Gefühl der Verzweiflung. Er wollte Gerechtigkeit für seinen Freund. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Es war kein Zufall, dachte er, sondern ein Wink des Schicksals, dass er diese Frau am Samstag in der Remise wiedergesehen hatte. Zwar hatte er sie hauptsächlich von hinten gesehen und aus größerer Entfernung, aber er war sich trotzdem recht sicher.
Es war eine Chance. Vielleicht die einzige, um zu erfahren, wer Wolfgang ermordet hatte und vor allem warum. Diesen Dienst war er seinem Freund einfach schuldig.
Wolfgang Biederstätt hatte Markus Kessel seine Eigentumswohnungund einen wertvollen Warhol hinterlassen. Kessels finanzielle Sorgen hatten sich dadurch mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Wenn er es geschickt anstellte, musste er sich nie wieder für den Entwurf kurzlebiger Messebauten oder die Einrichtung spießiger Friseurläden prostituieren. Er könnte in Zukunft nur noch an den Sachen arbeiten, die ihn herausforderten. Endlich das schwebende Bett entwerfen, das schon lange in seinem Kopf herumspukte, sich
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