Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
hier ein gemeinsames Ding durch. Wenn du was brauchst, denn mach den Mund auf und frag mich. Hast du verstanden? Diese Extratouren hinter meinem Rücken laufen nicht.«
»Ich muss dich ja wohl kaum um Erlaubnis fragen, wenn ich was will. Aber ich war nicht am Geheimfach. Frag doch zur Abwechslung mal unsere gute Isabel!«
»Das hab ich schon. Sie war es nicht, und ich weiß, dass sie mich nicht anlügt.«
»Ach ja, wirklich?«
Es sollte höhnisch klingen, aber Joe hörte selbst, dass seine Stimme zittrig klang. Es ging ihm beschissen heute. Er wollte nicht mit Albrecht streiten, er wollte aber auch nicht klein beigeben.
»Isabel hat es gar nicht nötig zu lügen. Sie sagt, was sie denkt und was sie will. Sie gehört Gott sei Dank zu den wenigen Menschen, die keine Angst vor der Wahrheit haben.«
»Willst du damit andeuten, ich hätte Angst?«
Joe schniefte. Nicht weil er heulen musste, aber es raubte seiner Antwort natürlich die Wirkung.
Eine Erinnerung an eine ganz ähnliche Situation tauchte vor seinem inneren Auge auf: demütigend und hässlich.
»Ja.«
Joe trat mit dem Fuß gegen einen der Müllsäcke, die in der Küche herumstanden.
»Wenn du die nicht rausbringst, Albrecht, hast du bald fette Ratten in deiner Hütte …«
»Vielleicht hab ich die jetzt schon.«
Joe hatte das Gefühl, am Boden auf dem Rücken zu liegen. Er hatte sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr geschlagen, aber das Gefühl, das man nach einer Niederlage auf dem Pflaster des Pausenhofs verspürte, hatte sich ähnlich angefühlt. Er wusste keine Antwort mehr. Um von seiner Verlegenheit abzulenken, bearbeitete er den blauen Müllbeutel weiter mit seiner Schuhspitze. Durch einen kleinen Riss quollen Zigarettenkippen und verschimmelte Nudeln.
Albrecht trat noch einen Schritt auf ihn zu: »Lass in Zukunft die Finger vom Geheimfach. Einen weiteren Verstoß dulde ich nicht.«
Die unflätige Bemerkung, die Joe auf der Zunge lag, schluckte er hinunter. Er zwang sich zu nicken, ohne Albrecht dabei in die Augen zu sehen.
Ich stecke in einer Zeitschleife fest, dachte Joe plötzlich verzweifelt. Alles wiederholte sich bis zum Erbrechen!
Auch sein Vater hatte ihm immer und immer wieder seine Nutzlosigkeit vor Augen geführt: Er hatte ein Einser-Abi gemacht, aber sein Vater hatte sich geweigert, es überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen hatte er auf Joes schwachen Leistungen im Sport herumgeritten. Als ob er etwas dafür konnte, dass sein linkes Bein zwei Zentimeter kürzer warund er trotz aller Bemühungen immer nur zweite Liga blieb. Sein Vater hatte ihn als schwach bezeichnet, faul, kriecherisch und die größte Enttäuschung seines Lebens. Zum Abi-Ball war er nicht gekommen, weil es ihm peinlich war, mit seinem Sohn gesehen zu werden. Das hatte er zwar nicht gesagt, sondern Termine vorgeschoben, aber Joe hatte es in seinen Augen gelesen, diese grenzenlose Verachtung, seine Arroganz! Und er meinte auch noch, er täte das Beste, würde ihn erziehen und abhärten, damit endlich ein Mann aus ihm würde …
Seine Freunde, allen voran Albrecht, waren seine Flucht und seine Rache an ihm gewesen. Und nun kam Albrecht an wie ein dämlicher Spießer und meinte, ihn zur Rede stellen zu müssen. Dabei hatte er sich nur zwei dieser dämlichen Briefchen genommen, gerade mal ein Gramm! Weil es ihm mies ging. Weil er nicht mehr schlafen konnte und weil er zunehmend gierig war … den Kick einfach brauchte.
Seit er den Koks nicht nur schnupfte, sondern auch manchmal drückte, fiel es ihm zunehmend schwer, sich zu zügeln. Aus einem Wochenendzeitvertreib war ein echtes Verlangen geworden. Aber das war kein Problem für ihn. Ein Koks-Junkie war immer noch tausendmal besser als ein Heroin-Junkie, versicherte sich Joe.
»Wir sollten in Zukunft einfach alles durch drei teilen«, sagte er, um seine Niederlage abzuschwächen.
Schon in der Tür, wandte Albrecht sich um. »Denk nicht mal dran, Joe. Du würdest so dermaßen abstürzen ohne uns. Entweder wir gemeinsam, oder wir ohne dich. Da kannst du ja mal drüber nachdenken …« Er drehte sich um und ließ ihn stehen.
Was für ein abgrundtief beschissener Tag!
Er überlegte, ob er jetzt Türen knallend aus dem Haus rennensollte. Aber wohin sollte er gehen. Seine eigene kleine Wohnung in der Hundestraße erschien ihm so eng und bedrückend wie eine Gefängniszelle. Er hatte kein Geld mehr. Es reichte nicht einmal für ein anständiges Essen im Steakhaus.
Das Geräusch des Schlüssels im
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