Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
in Gang zu bringen.
»Kennst du viele von Toms Freunden?«
»Die meisten. Es sind noch dieselben wie früher. Interessierst du dich für jemanden bestimmtes?«
Nele ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
»Eigentlich nicht. Das heißt doch. Kennt ihr eine Beate Fischer?«
Als die Frage heraus war, ging Pia auf, wie unpassend sie war. Nicht mal an so einem Tag konnte sie die Arbeit für ein paar Stunden vergessen. Doch Nele kannte nun einmal viele Leute. Und manchmal war eine wichtige Information einfacher zu erhalten, als zunächst gedacht.
»Nein. Eine Freundin von dir?«
»Nicht direkt. Hast du den Namen mal gehört?«
»Keine Ahnung. Aber der ist so gewöhnlich, dass er auffällt. Da müsste es eigentlich bei mir klingeln. Hat es mit einem Fall zu tun, an dem du gerade arbeitest?«
»Nein«, log Pia, »war nur so eine Frage …«
»Pia, den Tonfall kenne ich. Nur so eine Frage …« Sie wandte sich ihrem Freund zu. »In einem früheren Leben war meine Schwester bei der heiligen Inquisition.«
»Du weißt doch gar nicht, was du da sagst …«, wehrte sich Pia. Sie ärgerte sich, weil sie sich von Nele durchschaut fühlte.
»Das weiß ich sehr wohl. Du musstest den Dingen schon immer bis zum Erbrechen auf den Grund gehen, Pia.«
»Ach ja? Das ist aber immer noch besser, als alles Unangenehme unter den Teppich zu kehren …«
Wo sollte das jetzt hinführen?, dachte Pia ernüchtert, der Abend war schließlich noch lang. Nele schien das Gleiche zu empfinden. Sie lenkte das Gespräch wieder harmloseren Themen zu.
»Müssen sich Braut und Bräutigam nicht ständig küssen?«, fragte sie in die Runde, »da war doch was?«
Pia zuckte ratlos mit den Schultern, immer noch betroffen von dem Vorwurf, sie sei eine Nervensäge. Glücklicherweise schlug nun Neles Begleiter mit seinem Dessertlöffel gegen ein Glas und rettete die Situation. Braut und Bräutigam küssten sich.
»Wie furchtbar, auf Kommando!«, meinte Nele.
»Warum heiraten Menschen?«, fragte Pia.
Letzten Endes landete Pia doch an der Bar und bestellte sich ihr Lieblingsgetränk: leuchtend rot schimmerte der Longdrink mit einer Selleriestange als Dekoration im Licht der Barbeleuchtung. Pia fragte sich, wer dieses wunderbare Getränk geschmackloserweise nach Maria Tudor, besser bekannt als Maria die Blutige, benannt hatte.
Ihrem bruchstückhaften Geschichtswissen nach hatte auch diese Frau eine jüngere Halbschwester gehabt, genau wie sie. Das war Elisabeth I. gewesen, berühmt und berüchtigt bis in die heutige Zeit. Aber wer zum Teufel erinnerte sich noch an die unglückliche Maria?
Pia sah zu ihrer Schwester hinüber. Nele zog gerade in ihrem Dolce & Gabbana-Kleid auf der Tanzfläche eine kleineShow ab. Ihr neuer Freund Olaf wich nicht von ihrer Seite. Pia trank einen kleinen Schluck. Der Barkeeper grinste zu ihr herüber. Der Abend schien endlos zu werden …
Pia legte ihren Arm auf den Tresen, um unauffällig auf ihre Armbanduhr sehen zu können. Erst zehn Minuten nach neun Uhr. Als sie wieder aufblickte, stand ihr Stiefvater neben ihr und bestellte sich einen Kognak.
»Schöner Abend, nicht?«, bemerkte er freundlich. Seine undeutliche Aussprache verriet Pia, dass er schon einiges an Alkohol getrunken haben musste.
»Die Braut sieht hübsch aus …«, antwortete Pia.
Inzwischen hatte sie mitbekommen, dass das ein Satz war, den man von den Gästen irgendwie erwartete.
»Deine Mutter war auch so schön. Nein, noch schöner. Sie sah bei unserer Hochzeit aus wie Liz Taylor in Die Katze auf dem heißen Blechdach. Kennst du den Film?«
»Der mit Paul Newman?«, fragte Pia.
»Ja. Nur dass ich niemals aussah wie Paul Newman.«
»Na und? Sie hat dich geliebt …«, sagte Pia und wusste selbst nicht, warum. Idiotisch, einem vom Alkohol sentimental gestimmten Mann mit so etwas zu kommen. Das alles war über fünfundzwanzig Jahre her, ein Vierteljahrhundert!
»Ja. Und ich sie auch. Aber es war von Anfang an der Wurm drin. Und weißt du warum? Wegen eines fünfjährigen Kindes. Du hast mir nie eine Chance gegeben, Pia. Dabei wollte ich immer nur das Beste für unsere kleine Familie. Immer nur das Beste …«
Pia sah sich Hilfe suchend um, doch kein edler Ritter auf einem weißen Pferd sprang zu ihrer Rettung herbei.
»Ich war noch ein Kind. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, dich kennen zu lernen …«
Ihr Stiefvater schwenkte seinen Kognak in dem bauchigenGlas. »Ja … mehr Zeit. Als Tom und Nele zur Welt kamen, war es zu
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