Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
Shampoowerbung.
Maras Stimme klang höflich distanziert. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ein guter Freund bat mich, Ihnen ein Geschenk zu überreichen.“ Mit einer eleganten Verbeugung, die aussah, als habe er sie aus einem Piratenfilm gelernt, überreichte er der verblüfften Frau eine einzelne Rose. „Es ist nur leider zu groß, um es in einem Stück durch diese Tür zu bringen.“ Sein Lächeln war unwiderstehlich, vor allem mit diesen süßen kleinen Grübchen um seine Mundwinkel, die er einsetzte wie eine Waffe. Violet stand völlig reglos. Trotz der Anspannung musste sie all ihre Selbstbeherrschung aufbringen, um sich das Lachen zu verkneifen.
„Möchten Sie wenigstens kurz einen Blick darauf werfen? Dann können Sie sich ja überlegen, ob ich es in zwei Stücke schneiden und hier hereinwuchten soll, oder lieber direkt zu Ihnen nach Hause liefern?“
„Ich verstehe nicht“, stammelte Mara. „Wer ist denn Ihr Freund?“
„Ein leidenschaftlicher Verehrer Ihrer Schönheit und Ihres sprühenden Geistes.“ Marshall zwinkerte ihr zu. „Ich habe einen Brief zwischen den Blumen gesehen. Jetzt kommen Sie, verderben Sie sich nicht die Überraschung.“
Mara war so perplex, dass sie ihm tatsächlich folgte. Dreißig Sekunden später trat Violet an die Rezeption, als gehöre sie hierher. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Marshall der Rezeptionistin den Vortritt an der Tür ließ. Dann erfüllten Ausrufe den winzigen Kopfhörer, die zwischen Verzückung und Fassungslosigkeit schwankten.
Violet öffnete den Windows Explorer und begann, sich fieberhaft durch die Ordner zu klicken. Schon nach wenigen Sekunden wurde ihr klar, dass das zu nichts führte. In der kurzen Zeit würde sie niemals finden, was sie brauchte. Sie wusste ja nicht einmal, was das genau war. Okay, nächster Versuch.
Sie öffnete eine Suchmaske und gab Emily Bardo als Suchbegriff ein. Eine Sanduhr begann, zu laufen. Draußen diskutierten Marshall und Mara, wie mit dem Blumengesteck zu verfahren sei.
„Hören Sie, ich muss zurück an meinen Platz“, klang Maras Stimme durch das Rauschen.
„Dann geben Sie mir doch Ihre Adresse und ich fahre es Ihnen nach Hause. Oder warten Sie, nehmen Sie sich wenigstens ein paar von den Rosen und behalten Sie sie hier. Damit Sie den restlichen Tag Freude daran haben.“
Die Suchroutine näherte sich der Siebzig-Prozent-Marke. Das Telefon begann zu klingeln. Gleichzeitig kündigte ein dezenter Glockenton den Aufzug an. Violet hörte, wie die Türen aufglitten, und veränderte ihre Position so, dass ihr Körper den Computerbildschirm verdeckte.
„Ma’am?“, fragte eine männliche Stimme hinter ihr.
Sie warf einen Blick über die Schulter und fuhr leicht zusammen. Shit. Security. Das hatte ihr noch gefehlt. Geistesgegenwärtig hob sie den Telefonhörer ab und zwang sich ein entschuldigendes Lächeln auf die Lippen. „VORTEC Pharmaceuticals, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“
Eine Dame von den Los Angeles Stadtwerken stellte sich vor und bat um Entschuldigung, dass der Müll an diesem Morgen nicht abgeholt worden war.
„Das ist gar kein Problem“, flötete Violet.
Der Security-Mann wirkte ungeduldig, aber wenigstens nicht übermäßig misstrauisch. Ihr brach der Schweiß aus. Das Lächeln auf ihren Lippen fühlte sich inzwischen an wie mit Reißzwecken befestigt. In ihrem Ohrmikrofon redete Marshall auf Mara ein, die zunehmend ungemütlich wurde, während Violet sich den Telefonhörer ans andere Ohr presste und der Dame vom Public Works Department lauschte.
Keine Treffer für Ihre Suchanfrage, verkündete das graue Fenster. Verdammt. Was jetzt? Aufs Geratewohl gab sie den einzigen anderen Namen ein, der ihr in den Sinn kam: Albright, Julia.
Der Security-Mann machte eine Geste, die wohl als Frage zu verstehen war, wie lange das Telefonat noch dauern würde.
„Augenblick bitte“, sagte sie zu der Mülldame, dann blickte sie den Mann herausfordernd an.
„Wo ist Mara?“, fragte er.
„Hatte was Dringendes zu erledigen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Halbe Stunde.“
„Aber ich muss sie unbedingt ...“
„Halbe Stunde“, wiederholte sie. Dann nahm sie die Hand vom Hörer. „Tut mir leid, da bin ich wieder. Wann sagten Sie, kommen Ihre Leute?“
Der Wachmann winkte entnervt ab. Vor Erleichterung wurde ihr fast schwindelig, als er sich auf dem Absatz herumdrehte und den Rufknopf am Aufzug drückte. Die Suchroutine auf dem Bildschirm listete ein Dutzend Dokumente
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