Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
kann, ist auf der Suche nach den Entführern. Ich biete allen in der Stadt Schutz an. Aber es gibt immer noch welche, die die Bedrohung nicht ernst nehmen.“
„Wie die Kolonie in der Brewery.“
„Pascal ist ein verrückter alter Narr!“, fuhr Katherina auf. „Genauso wie dein Vater, der mit Mächten herumspielt, die er nicht versteht!“
„Was meinst du damit?“
„Das weißt du genau.“
Diesmal ging es ihr nicht darum, ihn zu provozieren, das spürte er. Ihre Erbitterung war echt.
„Thomasz gräbt in den alten Mythen herum, als wären es Kindermärchen. Er zerrt Dinge an die Oberfläche, die besser begraben bleiben sollten. Damit gefährdet er uns alle!“ Auf ihren Wangen pulsierte fiebriges Rot.
Gabriel schluckte die bissige Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag. So hatte er Katherina nie zuvor erlebt.
„Was glaubst du, woher Mordechai von dem Gefallenen wusste? Wer hat die alten Schriften für ihn durchforstet? Woher konnte Mordechai von den Seelengefäßen erfahren, wenn nicht von deinem Vater?“
„Wovon sprichst du überhaupt?“ Er hatte die Gerüchte gehört, doch wenig darauf gegeben. Die Nachricht vom Tod des Mordechai Carnegie, einem Erstgeborenen, war wie eine Schockwelle durch die Reihen der Schattenläufer gegangen. Vor allem, da Mordechai zwei Dutzend Getreue mit in den Untergang gerissen hatte, ganz zu schweigen von den Menschen, die in der Schlacht zwischen seinen Männern und der Garde getötet worden waren. Aber was ging ihn das an? Katherina hatte Mordechai gehasst, weil er sich der Autorität ihrer Garde widersetzte, doch Gabriel interessierte sich nicht für Machtkämpfe dieser Art. Dass sein Vater allerdings für Mordechai gearbeitet haben sollte, hörte er zum ersten Mal. Thomasz hatte nie etwas darüber erzählt. Andererseits war Thomasz ihm keine Rechenschaft schuldig. Es war Sache seines Vaters, wem er seine Dienste verkaufte. Warum also nicht Mordechai Carnegie?
„Mordechai hat einen Gefallenen auf diese Welt zurückgebracht! Oder ist dir das auch entgangen in deiner selbst gewählten Klausur?“
Nur langsam sickerten Katherinas Worte in seinen Geist und trafen auf ein anderes Puzzleteil, das plötzlich schrecklichen Sinn ergab. „Du meinst einen gefallenen Engel?“
„Du weißt es nicht.“ Ihr Lachen klang bitter. „Du nimmst tatsächlich keinen Anteil mehr an dieser Welt. Aber eines Tages wirst du begreifen, dass du nicht ewig die Augen verschließen kannst. Macht bedeutet Verantwortung. Das Blut ist stark in dir, Gabriel Eysmont, ist dir das bewusst? Du bist ein Krieger, aber hast du dich nie gefragt, warum du deine Feinde niedermähen kannst wie Weizenhalme? Doch statt Verantwortung zu übernehmen“, sie spuckte die Worte förmlich aus, „hast du es vorgezogen, dich als Söldner zu verdingen. Dich hat nie interessiert, für wen du kämpfst oder warum. Und beim ersten Mal, wo das Schicksal dich auf die Probe stellt, ziehst du dich in deinen Panzer zurück wie ein trotziges Kind und kehrst der Welt den Rücken.“
Fassungslos starrte er sie an. Sie schleuderte ihm ihre Vorwürfe mit so viel Bitterkeit entgegen, so voller selbstgerechtem Zorn, dass ihm jede Erwiderung in der Kehle stecken blieb. In seinem Inneren erhob sich ein Strudel aus Wut, Hass und verletzter Ehre. Die schiere Ungerechtigkeit ihrer Anschuldigungen überwältigte ihn, doch er atmete nur, zwang den Sturm in seine Schranken, atmete weiter und ließ nicht zu, dass seine Emotionen nach außen brachen. Er war hierhergekommen, weil er Katherina brauchte, um seinen Vater zu retten.
Minutenlang ballte sich Schweigen im Raum.
Dann, in ruhigerem Tonfall, sagte Katherina: „Du hast mich richtig verstanden. Ein gefallener Engel wandelt wieder auf dieser Welt, ein gefährliches und unberechenbares Relikt. Nur Gott weiß, welche Konsequenzen das für uns haben wird. Aber im Moment ist der Engel nicht unsere unmittelbare Sorge. Wir müssen diese Entführungen stoppen.“
„Ich habe vielleicht eine Spur.“
In Katherinas Blick glomm ein Funke auf.
„Es ist eine Sekte.“
Und dann erzählte er ihr von Etherlight und dem Anwesen in der Mojavewüste und Carl, der ihn mit seinem Vater verwechselt hatte und so begierig darauf gewesen war, etwas über einen gefallenen Engel zu erfahren.
Hinter der Tür lag nur die Wäschekammer mit Regalen voller Kittel und Laken. Verdammt. Missmutig kehrte Violet zum Empfang zurück. Die Frauengruppe um den Tresen hatte sich mittlerweile aufgelöst. Die
Weitere Kostenlose Bücher