Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
und mit zusammengepressten Lippen. Blut benetzte ihre Wange. Ihr Haar, ihre Kleider, sogar ihre Haut waren mit Staub überzogen. Sekundenlang starrten sie sich an, wie zwei Menschen, die sich nach wochenlangem Umherirren in einem Labyrinth plötzlich gefunden haben. Er las seine eigene Sorge gespiegelt in ihrem Blick. Sie hatte um ihn gefürchtet. Das berührte ihn auf einer Ebene, die tief unten lag, so tief, dass er schauderte.
„Ich bin okay“, sagte sie, bevor er die Frage stellen konnte. Ihre Lippen zitterten. „Was ist mit Keith?“
Gabriel ließ sich neben ihm auf die Knie sinken. Keith stöhnte, als er ihn an der Schulter berührte. Seine Haut hatte sich bleifarben verfärbt, die Kleidung troff vor Blut.
„Kannst du mich hören?“, fragte Gabriel.
Keith öffnete seine Lider einen Spalt. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem Ausdruck purer Qual, als er sich aufzurichten versuchte.
„Scheiße“, flüsterte er. „Wieso hat Marco ...“
„Das finden wir später heraus. Dir steht eine höllische Nacht bevor, mein Freund.“
„Du lässt mich nicht sterben, nicht wahr?“ Das Lächeln auf Keith’ Lippen misslang. „Du bist mir was schuldig.“
„Nein.“ Gabriel riss ihm das Hemd auf, um die Wunden zu untersuchen. „Ich lasse dich nicht sterben.“
16
E
s duftete nach Flieder, als Violet erwachte. Sonnenlicht flirrte in weißen Gazevorhängen. Von irgendwo klang ein rhythmisches Piepsen. Sie tastete über gestärkte Bettwäsche, strich über ihren Arm, die Härchen, die sich aufrichteten. Es fühlte sich warm an, wie es sein sollte. Alles war richtig. Dann stieß sie gegen die Kanüle, die in ihrer Armbeuge steckte und war schlagartig wach.
Ein Schatten schob sich vor das Licht, die Silhouette eines Mannes. Sein Haar fiel ihm auf die Schultern in dichten, seidigen Strähnen, walnussfarben mit helleren Einsprengseln, wo die Sonne sie gebleicht hatte. Lange Wimpern verschatteten seinen Blick, dunkel mit lavendelfarbenen Einsprengseln.
„Gabriel“, flüsterte sie.
„Du bist wach.“ Er trug eine dunkelblaue Bandana mit weißen Ornamenten. Ein Lächeln saß in seinen Mundwinkeln. Seine Hand berührte ihre Wange und schob eine Haarsträhne beiseite. Zärtlichkeit lag in dieser Geste. Sie verriet die Verletzlichkeit unter seiner spöttischen Maske.
„Was ist passiert?“, fragte sie.
„Du hast das Bewusstsein verloren.“
Sie versuchte, sich zu erinnern. Die unterirdischen Tunnels, die Leichen, die tobenden Hunde. Nach der zweiten Explosion hatte sie geglaubt, keinen einzigen heilen Knochen mehr im Leib zu haben. Sie hatte Gabriels Pistole unter dem Schutt gefunden, der von der Decke gebrochen war. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war der entsetzliche Kampf zwischen Gabriel und einem riesenhaften schwarzhaarigen Gegner, auf den sie geschossen hatte.
„Habe ich getroffen?“
Er nickte.
„Ist er tot?“
„Ich habe ihn enthauptet.“
Ja, richtig. Und Keith, blutüberströmt. Oh Gott. Was für ein Albtraum. „Haben wir gewonnen?“
Sein Lächeln wurde breiter. „Keith ist wieder auf den Beinen.“
„Hast du ihm ... dein Blut gegeben?“
„Ja.“
„Oh.“ Sie zupfte ein wenig an der Kanüle. Ihr Kopf fühlte sich zu leicht an. Sie horchte in ihren Körper, doch fand keinen Schmerz. Nur eine warme Schwere, die von den Medikamenten herrühren mochte. „Warum bin ich hier?“
„Du hast eine Kopfverletzung und zwei gebrochene Rippen.“ Gabriel ließ sich vor ihr auf den Boden sinken. Ihre Köpfe waren nun fast auf gleicher Höhe. „Sie behalten dich für ein paar Tage hier.“
„Ein paar Tage?“, fuhr sie auf. „Aber ich habe keine Zeit.“ Sie betastete ihren Schädel und fand den Mullverband. „Du hast nicht zufällig noch etwas von deinem Blut übrig für mich?“
„Nein!“
Das kam so heftig, dass sie zurückzuckte. Die Zärtlichkeit war aus seinem Gesicht verschwunden und auch das Lächeln, weggefegt von einer plötzlichen Kälte, die sie nicht verstand. Himmel, sie hatte einen Scherz gemacht! Was in aller Welt war los mit ihm? Verstimmt über seine Grobheit richtete sie sich auf und nahm sich die Kanüle aus der Armbeuge.
„Was machst du da?“
„Ich stehe auf.“ Sie stieß die Decke zurück. „Wo sind meine verdammten Sachen?“
Er machte keinen Versuch, sie aufzuhalten, doch seine Augen wurden schmal. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“
„Warum nicht?“
„Weil gleich die Krankenschwester auftauchen wird.“
Sie richtete sich
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