Engelskuss und Weihnachtstraum - eine Liebesgeschichte in 24 Kapiteln
einfach war. Dazu sangen wir auf der Bühne und der Chor zur fetzigen Begleitung des Orchesters Iâll be home for Christmas.
Weil Chris Löwenfeld immer noch mehr Schwung und Tempo verlangte und Paul, der Trompeter, mit der Geschwindigkeit zuerst nicht mithalten konnte, dauerte die Probe dieser einen Szene bis 16 Uhr, dann wurde der Vorhang zugezogen und die beiden Engelchen traten wieder mit dem Nachrichtenband auf, wozu Mick das Tickern mit seinem Schlagzeug beisteuerte:
+ + + Schneechaos im Nahen Osten + + + StraÃen und Wege unpassierbar + + + Viele Reisende gestrandet + + + Dringende Warnung: nehmen Sie keine Anhalter mit + + + Unterkünfte weitgehend ausgebucht + + + Schneechaos im Wüstengebiet + + + Extremer Kälteeinbruch infolge Klimaänderung + + + Herbergen überfüllt + + +
Die Leute von der Kunst-AG hatten die Kulisse geändert; jetzt stand auf der Bühne nur die Karawanserei ohne Stall. Josef und ich näherten uns dem geschlossenen Tor, er schlug mit seinem Spazierstock dagegen. Einmal, zweimal, dreimal. Yasin, der Wirt, öffnete das Tor, man sah verschleierte Frauen, Männer in weiÃen Gewändern, Kamele (aus Sperrholz), Stoffballen, Kästen und Kisten.
Ich war wahnsinnig aufgeregt, denn jetzt hatten wir drei, Maria, Josef und der Wirt, den allerwichtigsten und allerlängsten Auftritt.
Der Wirt rappte: Wer klopfet an?
Ich sang: O, zwei gar arme Leutâ!
Der Wirt: Was wollt ihr denn?
Ich sang, wozu Josef brummte: Wir wollen Herbergâ heut!
Das Lied hat 4 Strophen und endet damit, dass der Wirt uns widerwillig einen Platz im Viehstall bewilligt:
Wirt: Jetzt packt euch fort!
Maria: Oh, dies sind harte Wortâ!
Wirt: Zum Viehstall dort!
Maria: Oh, wohl ein schlechter Ort!
Wirt: Ei, der Ort ist gut für euch; ihr braucht nicht viel. Da geht nur gleich!
Das Licht ging aus, man hörte, wie Kulissen herumgeschoben wurden, dann ging das Licht wieder an. Die Karawanserei war verschwunden, jetzt sah man eine Wüstengegend mit einem halbzerfallenen Stall. An seiner linken Seite stand eine echte, aber ziemlich kleine Palme in einem Tontopf, rechts sah man drei Strohballen und vier hölzerne Schäfchen auf Rädchen.
Yasin, der Wirt, deutete auf die Stalltür, die ganz schief in den Angeln hing.
Josef führte mich nicht; er folgte dem Wirt so bereitwillig, als wäre der elende Stall ein Vier-Sterne-Luxushotel. Da wurde ich aber sauer! Verdammt â hatte der Junge denn keinen Funken Fantasie?! Seine Maria war seit Tagen unterwegs, die Unterkünfte waren katastrophal gewesen, am Essen hatte es gefehlt, das Wasser war knapp geworden, und zu allem Unglück war sie auch noch hochschwanger!
Das waren keine Peanuts, für die Maria war das eine ganz miese Zeit, die ihr alles abverlangte. Und wie verhielt sich der Josef?
So, als ging´s zum Sommerurlaub am Mittelmeer.
Ich hörte, wie unten im Saal ein paar Leute tuschelten â bestimmt regten sie sich genauso über den Josef auf wie ich. In diesem Augenblick zwinkerte Yasin mir zu. âºRette die Szene, Maria!â¹, hieà das.
Gut, ich hatte verstanden. Ich krümmte mich vor Schmerz, ich tappte ein paar Schrittchen, ich rang die Hände ⦠dann stand ich auch vor dem Stall, blickte mich fassungslos, hilfesuchend um â und sank ohnmächtig zu Boden.
Mein Josef kapierte gar nichts. Erst als ihn der Wirt anstieà und brüllte: »Fass an, du Trottel! Wir tragen deine Frau in den Stall!«, hob er meine Beine hoch. Der Wirt hatte die gröÃere Last zu tragen; als er seine Arme unter meinen Rücken schob, keuchte er und schnaufte wie ein Walross. Das war aber nur Theater. Im Stall sagte er nämlich so laut, dass Jonas ihn gut hören konnte: »Spürst du, wie ich dich auf Händen trage, Mirja?«
Es war eine echt tolle Szene.
Yasin, der Wirt, groÃmäulig und breitbeinig, die Hände in den Taschen, das Kinn kämpferisch hochgereckt, rappte wahnsinnig gut, und Murat schlug dazu ganz leise und gleichmäÃig die Trommel.
Das Orchester begleitete meinen Song in der richtigen Lautstärke und so, dass man im Saal noch jedes Wort verstehen konnte. Es war DIE Szene überhaupt:
Der selbstbewusste Wirt, der schüchterne, trottelige Josef, und ich, die Schwangere, die tapfer durchgehalten hat, aber jetzt am Ende ihrer Kräfte ist und es kaum fassen kann, dass sie ihr Kind in einem lausigen Stall zur Welt bringen
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