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Engelslicht

Engelslicht

Titel: Engelslicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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einmal träumen können. Im Leben träumen Transhimmlische nie. Ich werde von Doktor Otto träumen. Es ist so lange her, seit ich meinen Liebsten gesehen habe, Lucinda. Das kannst du doch sicher verstehen?«
    Luce wollte weinen. Sie verstand. Natürlich verstand sie das.
    Noch heftiger zitternd als zuvor, zog sie das Messer wieder über die Tätowierung auf Dees Brust. Die alte Frau drückte ihr ganz sanft die Hände. »Gott segne dich, Kind. Sei reich gesegnet. Und jetzt beeile dich.« Dee warf einen ängstlichen Blick zum Himmel hinauf, zum Mond. »Hinein damit.«
    Luce ächzte, als sie der alten Frau das Messer in die Brust stieß. Die Klinge bohrte sich durch Fleisch und Knochen und Muskeln – und dann steckte sie bis zum Griff in ihrem schönen Herzen. Luces und Dees Gesichter berührten einander fast. Ihre Atemwolken vermischten sich in der Luft.
    Dee knirschte mit den Zähnen und packte Luce’ Hand, als sie die Klinge scharf nach links drehte. Ihre goldenen Augen weiteten sich, dann erstarrten sie vor Schmerz und Schreck. Luce wollte wegsehen, aber sie konnte nicht. Sie suchte nach dem Schrei in sich.
    »Zieh die Klinge heraus«, flüsterte Dee. »Gieße mein Blut in die silberne Feder.«
    Luce wand sich und zog den Dolch hinaus. Sie spürte, wie etwas tief in Dee zerriss. Die Wunde war eine klaffende schwarze Höhle. Blut strömte hinaus. Es war beängstigend zu sehen, wie Dees goldene Augen sich trübten. Die Dame brach auf dem mondbeschienenen Plateau zusammen.
    In der Ferne erscholl das Kreischen eines Mitglieds der Waage. Alle Engel schauten nach oben.
    »Luce, du musst schnell machen«, sagte Daniel. Seine erzwungene Ruhe schürte die Angst mehr, als offene Panik es getan hätte.
    Luce hielt den Dolch noch immer in den Händen. Er war glitschig und rot und tropfte vor transhimmlischem Blut. Sie warf ihn zu Boden. Er landete mit einem blechernen Klirren, das sie wütend machte, weil es wie ein Spielzeug klang und nicht wie die mächtige Waffe, die zwei Seelen getötet hatte, die Luce liebte.
    Sie wischte sich die blutigen Hände am Umhang ab und rang nach Luft. Hätte Daniel sie nicht aufgefangen, wäre sie zusammengesackt.
    »Es tut mir leid, Luce.« Er küsste sie und seine Augen strahlten in ihrer alten Zärtlichkeit.
    »Was tut dir leid?«
    »Dass ich dir dabei nicht helfen konnte.«
    »Warum nicht?«
    »Du hast getan, was keiner von uns tun konnte. Du hast es allein getan.« Er fasste sie an den Schultern und drehte sie zu dem Bild, das sie nicht sehen wollte.
    »Nein. Bitte, zwing mich nicht …«
    »Sieh hin«, sagte Daniel.
    Dee saß aufrecht da und hielt die silberne Feder in den Armen, sodass ihr Rand sich ihr gegen die Brust drückte. Blut quoll ungehindert aus ihrem Herzen und schoss mit jedem kraftvollen Schlag heraus, als sei es nicht Blut, sondern etwas Magisches und Seltsames aus einer anderen Welt. Luce nahm an, dass es das auch war. Dees Augen waren geschlossen, aber sie strahlte, ihr Gesicht erhoben, vom Mond erhellt. Sie sah nicht aus, als hätte sie je Schmerzen gelitten.
    Nachdem der Kelch gefüllt war, trat Luce vor und bückte sich, um ihn aufzuheben und zurück auf den gelben Pfeil zu stellen. Als sie die silberne Feder Dee entwand, versuchte die alte Frau aufzustehen. Sie stemmte die blutigen Hände auf den Boden, um sich aufzurichten. Ihre Knie zitterten, als sie sich mühsam auf einen Fuß, dann auf den anderen stellte. Sie beugte sich vornüber und zuckte leicht, als sie den braunen Umhang aufhob. Luce begriff, dass sie versuchte, ihn sich wieder über die Schultern zu hängen, damit ihre Wunde bedeckt war. Arriane kam herbei, um ihr zu helfen, doch schon sickerte weiteres Blut durch den Umhang.
    Dees goldene Augen waren blasser, ihre Haut beinahe durchscheinend. Alles an ihr wirkte gedämpft und weich, als sei sie bereits an einem anderen Ort. Ein neues Schluchzen stieg in Luce’ Brust auf, als Dee einen stockenden Schritt auf sie zu machte.
    »Dee!« Luce überwand die Entfernung zwischen ihnen und streckte die Arme aus, um die sterbende Frau aufzufangen. Ihr Körper fühlte sich an wie ein Bruchteil dessen, was sie gewesen war, bevor Luce den Dolch in die Hände genommen hatte.
    »Scht«, gurrte Dee. »Ich wollte dir nur danken, Liebes. Und dir dieses kleine Abschiedsgeschenk machen.« Sie griff in ihren Umhang. Als sie die Hand herauszog, war ihr Daumen dunkel vor Blut. »Das Geschenk der Selbsterkenntnis. Du darfst nicht vergessen, dass du träumst, was du bereits

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