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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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schieben. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich immer für dich da bin.« Der Streit, das zornige, bittere Schweigen zwischen Jeffrey und ihr hatte lange dafür gesorgt, dass sie und ihre Halbschwestern wie Fremde in derselben Stadt lebten, aber damit war es jetzt vorbei, und wenn es nach Elena ging, würde es nie wieder so weit kommen. Sie jedenfalls würde diesen Fehler nicht zweimal begehen. »Es war schön, deine Nachricht zu bekommen, und auch über deinen Anruf heute habe ich mich gefreut.«
    Ein Schluckauf, ein tiefer, gut hörbarer Atemzug, und Eve sah auf, die grauen Augen riesig und feucht. »Ich weiß, es war ein Fehler, ich hätte es nicht tun sollen. Aber ich hatte bei einer Prüfung in der Akademie als Beste abgeschnitten, und das habe ich heute Morgen Vater erzählt.«
    Elena wurde ganz übel: Sie wusste genau, was jetzt kam. Trotzdem hörte sie geduldig zu, denn Eve musste das Gift loswerden, ehe es weiter an ihr fressen konnte. Wie es an Jeffrey und Elena gefressen hatte, bis in der einst so festen Beziehung ein riesiger Riss klaffte.
    »Wenn ich in der Schule gut abschneide, ist er immer so stolz«, fuhr Eve fort. »Ich weiß, er hasst Jäger, aber ich dachte, er wäre trotzdem auch auf meine Erfolge in der Akademie stolz.« Ihre Unterlippe zitterte. »Ich dachte, wenn ich ihn glücklich mache, ist er vielleicht netter zu dir. Aber er hat nur gesagt, ich soll verschwinden.«
    »Ach, Eve!« Elena tat ihre kleine Schwester in der Seele leid, sie wusste genau, wie ihr zumute war. Sie kniete sich neben ihr auf den Boden.
    Die Tränen liefen jetzt bei der Kleinen wieder in Strömen. Eve schlang die Arme um Elena und drückte das nasse Gesicht an den Hals ihrer Schwester. Elena sagte nichts, streichelte nur sanft den schmalen Rücken. Der Schmerz musste heraus, Eve sollte ruhig weinen. Elena hatte als Kind ihren Schmerz immer wieder hinuntergeschluckt, bis er in ihrem Innern zu einem Knoten geworden war, den sie vielleicht nie wieder würde lösen können.
    Manche Wunden wurden einem zugefügt, wenn man zu jung dafür war. Solche Wunden verletzten zu tief.
    Es dauerte etwas, bis Eve sich ausgeweint hatte. Elena tauchte eine Serviette in den Wasserkrug, den Montgomery auf den Tisch gestellt hatte, wischte ihrer Schwester über die Wangen und drückte ihr zum Abschluss noch rechts und links einen Kuss darauf. »Jeffrey hat dir wehgetan. Dazu hat er kein Recht, ob er nun dein Vater ist oder nicht.« Jetzt galt es, vorsichtig zu sein, jedes Wort sorgsam zu wählen, damit ihre eigenen alten Narben Eves Blick auf ihren Vater nicht allzu sehr trübten.
    Denn Jeffrey mochte sich wie ein Scheusal verhalten, wenn es um Elena ging, schien aber Eve und Amy immer ein guter, wenn auch distanzierter Vater gewesen zu sein. Nicht der, der Elena in die Luft geworfen und mit seiner ersten Frau draußen im Regen barfuß über den Rasen getanzt war – dieser Vater lag zusammen mit Marguerite tief unter der Erde begraben. Aber Amy und Eve hatten sich immer auf Jeffrey verlassen können; er war für sie da gewesen.
    Dieses Band zwischen Vater und Tochter würde Elena nie im Leben beschädigen. Sie wusste, wie man sich als Kind fühlte, wenn sich zwischen einem selbst und dem Mann, der einen beschützen soll, weil man selbst noch so klein und verletzlich ist, eine Kluft auftat. »Ich weiß auch, warum er sich so verhalten hat«, sagte sie leise. »Was diese eine Sache betrifft, ist Jeffrey nicht rational.«
    Ich habe nicht das Bedürfnis, eine Missgeburt unter meinem Dach zu beherbergen.
    Diese Worte hatte ihr Jeffrey während ihres letzten, hässlichen Streits an den Kopf geworfen und damit die allerletzten Reste der ohnehin schon sehr brüchigen Bindung zwischen ihnen zerstört, die früher einmal so stark gewesen war.
    »Aber warum?«
Mit vorgerecktem Kinn und geballten Fäusten stellte Eve die eine Frage, die Elena selbst nie hatte beantworten können. »Ich bin als Jägerin geboren, und du bist als Jägerin geboren – heißt das denn nicht, dass auch Vater geborener Jäger ist?«

5
    »Nein«, sagte Elena auf die zweite Frage hin, die, die sie beantworten konnte. »Es heißt nur, dass jemand in seiner Familie Jäger war und er die Gene in sich trägt.« Etwas, das Jeffrey Elena bewusst verschwiegen hatte, bis das Auftreten von Eves Fähigkeit dieses eine spezielle Geheimnis wie eine Bombe hatte explodieren lassen. »Aber in ihm ist die Fähigkeit nicht lebendig, nicht so wie bei dir und bei mir. Verstehst du das?«
    Eve

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