Engelslied
die er brauchte.
»Wenn Sie Ihre Wache zusammenstellen«, sagte er plötzlich, als Elena sich eigentlich schon zum Gehen gewandt hatte, »ziehen Sie mich dann wenigstens in Betracht?« Große, flehende Augen. »Ich weiß, ich bin jung, ich nehme auch die schlechtesten …«
»Warte! Ich habe doch gar keine Leibwächter, das müsstest du eigentlich wissen.« In dieser Frage hatte sie sich mühsam gegen Raphael durchsetzen müssen, aber jetzt stand die Entscheidung unumstößlich fest, und Elena hatte wirklich nicht vor, daran irgendetwas zu ändern.
»Nein, keine Leibwächter. Eine Garde. Wie Raphaels Sieben!« Izaks Gesicht strahlte solche Hoffnung aus, dass es fast schon wehtat. »Sie sind eine Gemahlin, Elena. Elias’ Gemahlin hat eine Garde.«
Elena wusste nun wirklich nicht, was sie mit einer Garde anfangen sollte, aber die Hoffnungen dieses strahlenden, zerschundenen Jungen zu enttäuschen kam nicht infrage. »Betrachte dich als erstes Mitglied meiner Garde.«
Sein Lächeln erhellte den ganzen Raum.
Es war schon weit nach Anbruch der Dunkelheit, als Elena die Krankenstation verließ und mehrere Stockwerke höher stieg, wo Raphael sich gerade mitten in einer Strategiesitzung mit seinen Sieben befand. Wer von der Gruppe nicht körperlich anwesend sein konnte, war über das Telekommunikationsnetz angerufen worden. Sie hätte sich einen Stuhl besorgen und sich dazusetzen können, musste ihren Kopf nach den emotionalen Belastungen des Tages aber erst einmal freibekommen.
Also kramte sie ihr Handy raus, um ihrer besten Freundin eine SMS zu schicken.
Schläft der Zwerg?
Schnarcht wie ein Holzfäller. Magst du auf einen Kaffee vorbeikommen?
Stör ich dich und dein Schnuckelhäschen auch nicht?
Mein Schnuckelhäschen hat mich verlassen und treibt sich in seiner Werkstatt rum. Da bastelt er an einer super speziellen, superraffinierten Waffe für eine andere Frau rum. Kannst froh sein, dass ich dich gernhabe, sonst müsste ich dich umbringen.
Endlich etwas, das die Traurigkeit und den Zorn in Elenas Innern zu knacken imstande war. Mit einem Lächeln im Gesicht schickte sie Raphael eine SMS auf dessen Handy, weil sie sich nicht in seine Gedanken mischen wollte, und flog zu Sara. Bei ihrem letzten Besuch im Haus der Freundin war das flache Dach des Hauses noch eine Baustelle gewesen, aber heute winkte ihr Sara von dort aus zu, und als Elena landete, wurde sie bereits von zwei dampfenden Kaffeebechern erwartet, die neben einem Babyfon auf einem leicht ramponierten Couchtisch standen. Das zum Tisch gehörende Sofa war ebenfalls nicht das jüngste, wirkte aber bequem und einladend.
»Nett!« Wohlwollend musterte Elena die noch leeren Pflanzkübel in den Ecken, die Mauer, die hoch genug war, um das Dach für Zoe zum sicheren Spielplatz werden zu lassen.
»Im Sommer hilfst du mir dann, die passenden Pflanzen auszusuchen, ja?« Sara reichte ihr einen Kaffeebecher und klopfte einladend neben sich auf das Sofa. »Leider fehlen noch die richtigen Möbel, du wirst dir also ein bisschen die Flügel quetschen.«
»Lass gut sein, das Sofa ist herrlich weich, da spielt alles andere keine Rolle.« Aufseufzend ließ sich Elena in die fast schon zu weichen Kissen fallen und legte die Beine auf den Couchtisch, wobei sie achtgab, das Babyphon nicht umzuwerfen. »Wie geht es Darrell inzwischen?«
»Der ist ziemlich durch den Wind.« Sara hatte sich im Schneidersitz auf die Couch gesetzt, die Finger um den Kaffeebecher geschlungen, ihre Haut in ihrem satten, weichen Braun ein Kontrast zum weißen Porzellan. »Aber ich glaube, er kommt wieder in Ordnung. Ransom und du, ihr habt ihn noch rechtzeitig aufgespürt.«
Einige Minuten lang herrschte einträchtiges Schweigen, während die beiden Frauen den sternenklaren Himmel betrachteten, der so ungetrübt über ihnen hing, wie es nur an ganz kalten Tagen der Fall war. Als sie dann redeten, hüpften sie nach Art enger Freundinnen von einem Thema zum anderen, von den bevorstehenden Feindseligkeiten zwischen Erzengeln bis hin zu der Frage, ob Sara ihren Pony lieber zur Seite kämmen sollte oder nicht. Und irgendwann brachen sie in schallendes Gelächter aus, nachdem sie beide gleichzeitig über ihre Männer hatten stöhnen müssen.
Dann stupste Sara, die sich inzwischen in einer Sofaecke zusammengerollt hatte, Elena mit dem bestrumpften Fuß an. »Lass das!«
Elena starrte sie an. Wo kam dieser Zorn plötzlich her? »Was soll ich lassen?«
»Hör auf herumzuspinnen, was sein wird,
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