Engelslied
Augen glühten blutrot, und seine Fangzähne blitzten auf, aber er wahrte Distanz, als Elena an ihm vorbei ins Haus ging.
Raphael? Wie steht es?
Michaela ist nicht schwanger, war es wahrscheinlich auch nie.
Ist das zu fassen? Beutet die Frau die Erinnerung an ihr totes Kind aus, um ihre Pläne auszuhecken!
Wie konnte jemand so gefühllos sein? Elena war ganz übel, als sie, immer den erhobenen Stimmen nach, bis zu der großen, aber ansonsten nicht gerade bemerkenswerten zentralen Halle des Hauses weiterging. Raphael stand genau in deren Mitte, Michaela ein paar Schritte von ihm entfernt.
Die wunderbar zarte, an goldbestäubten Milchkaffee erinnernde Haut der Erzengelfrau war gerötet, als hätte sie gerade einen leidenschaftlichen Streit ausgefochten, ihr Körper im smaragdgrünen Catsuit, der jede Rundung umschmeichelte, ein Sinnbild weiblicher Perfektion.
Raphael war mitten in einer heftigen Erwiderung, als Elena auf ihn zuging. »Deine Lüge wirst du kaum aufrechterhalten können. Wenn du also keinen Krieg willst, dann sieh zu, dass du nicht alles noch schlimmer machst und geh.«
Michaela warf Elena einen schneidenden Blick zu. »Sieh an, dein Schoßhündchen ist auch gekommen.« Ihre Stimme klang zuckersüß. »Kann sie schon Sitz und Platz und Männchen machen?«
Auch Elena konnte zuckersüß sein, wenn sie wollte, fuhr sich bei ihren Worten allerdings leicht mit dem Wurfmesser über die Finger. »Nein, aber sie zielt jetzt viel besser.« Gut, das mochte kleinlich gewesen sein, aber die Wut in Michaelas Augen war Balsam für Elenas Seele. Ohne Zweifel erinnerte sich die Erzengelfrau nur allzu gut daran, dass Elena einmal ein Messer in ihrem Augapfel versenkt hatte.
»Nicht.« Eine sanfte Warnung von Raphaels Seite aus, als Michaela die Hand hob und dramatisches Grün um ihre Finger knisterte.
In Raphaels Hand hatte sich ein Ball aus Engelsfeuer gebildet.
»Ich weiß nicht, was dir an diesem Wesen so gefällt.« Michaela ließ ihre Hand wieder sinken. »Aber ich schlage doch vor, du bringst ihm Manieren bei.«
Elena platzte inzwischen fast der Kragen, aber sie schwieg lieber, wusste sie doch, dass Michaela nur nach einem Grund suchte, ihr wehtun zu dürfen. Statt ihrer antwortete Raphael, die Stimme ruhig, aber eiskalt und tödlich: »Es dürfte für deine Schwadron zu anstrengend sein, jetzt sofort den Heimflug anzutreten. Bis Mitternacht könnt ihr als Gäste auf meinem Territorium bleiben. Wenn ihr danach noch hier seid, betrachte ich das als Hausfriedensbruch.«
Auf Michaelas Wangenknochen bildeten sich hektische rote Flecken, was ihre unglaubliche Schönheit allerdings nur noch unterstrich. »Eines Tages wirst du verstehen, was du heute zurückgewiesen hast«, schnurrte sie. »Dann wirst du um meine Gunst betteln.«
Darf ich zustechen?
Nur, wenn sie nach Mitternacht immer noch hier ist.
Bis zur Landung auf dem Rasen vor ihrem eigenen Haus sagte keiner der beiden ein Wort. In der kurzen Zeit, in der sich Elena im Gable House aufgehalten hatte, war die Nacht langsam dem Tag gewichen, und auf der anderen Seite des Flusses lag Manhattan in sanftes, wirbelndes Grau gehüllt, das den Glanz der Lichter in den Hochhäusern dämpfte.
Illium war mit ihnen zurückgeflogen. »Hab ein Auge auf Michaela und ihre Leute«, bat Raphael ihn. »Es dämmert schon fast, du kannst allein fliegen. Aber melde dich alle zehn Minuten bei Aodhan.«
»Sire.« Mit kaum hörbarem Rascheln hob sich Illium in die Lüfte und bald war das Silberblau seiner Flügel von einer Wolkendecke verschluckt worden.
Elena überquerte den Rasen mit großen Schritten, ihre Flügelenden schleiften im tauschweren Gras. »Irre ich mich, oder war die Göttin der Scheußlichkeiten heute nicht ganz sie selbst? Ihre Bewegungen schienen mir seltsam abgehackt und fahrig.«
»Urams Flecken.«
Elena stieg die Magensäure in die Kehle, als sie an Michaelas früheren Liebhaber dachte, den wahnsinnigen Erzengel, der eine Spur aus zerstümmelten und blutenden Leichen in seinem Kielwasser hinterlassen hatte … unter anderem die Leiche von Jeffreys damaliger Geliebter, dieser blässlichen Kopie seiner ersten Frau. Abgerissene Gliedmaßen, in weit offene Münder gesteckt, aufgeschlitzte Brustkästen, in denen die Innereien glitzerten, aufgehängte, ausgeblutete Leiber – Uram hatte Gräueltaten begangen, die Elena vorher nicht für möglich gehalten hätte.
»Uram hat ihr das Herz herausgerissen.« Zu genau erinnerte sie sich noch an den
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