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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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Keine richtige Gasse, aber, soweit Elena es mit ihrer Nachtsicht erkennen konnte, ausreichend geräumig, um Obdachlose zu beherbergen.
    Ich habe dich im Blick.
    Elena zog die Flügel noch enger an und bahnte sich vorsichtig einen Weg durch die Pappkartonbehausungen, in denen das Strandgut der Stadt lebte. Das waren nicht ausschließlich Menschen, auch Vampire konnte es hart treffen, auch von ihnen stiegen einige in dieses Schattenleben hinab, wozu allein schon die Abhängigkeit von irgendetwas Rauschhaftem reichte. Selbst in Vampirkreisen kursierten Drogen, seit ein paar geschäftstüchtige Blutsauger gewisse Substanzen für den gelegentlichen Konsum entwickelt hatten, die auch bei ihresgleichen ein High hervorriefen. Allerdings war der Rausch jeweils nur von kurzer Dauer, weswegen die meisten Konsumenten schnell wieder die Finger von dem Zeug ließen.
    Beliebter war da schon das »Honigsaugen«, bei dem ein menschlicher Spender eine bestimmte Droge nahm und den Vampir anschließend trinken ließ. Hier hielt die Wirkung ebenfalls nicht lange vor, war die biologische Struktur von Vampiren doch dazu angelegt, Drogen zu neutralisieren, aber es reichte für ein kurzes Vergnügen, zumal natürlich auch oft Sex auf einem solchen Speiseplan stand. Zwei Kicks zum Preis von einem. Glücksspiel konnte Vampire genauso ruinieren wie Sterbliche, und dann gab es da noch die ganz traurigen Fälle, bei denen Vampire und Menschen den Kampf gegen persönliche Dämonen verloren hatten, die außer ihnen niemand zu sehen imstande war.
    »Jägerin.« Das heisere Flüstern drang aus einem großen Pappkarton, den sich ein verwittert aussehender alter Mann in ein Heim verwandelt hatte. Er hatte sich dort zusammengerollt und starrte Elena durch den zur Seite geschobenen »Türvorhang« mit roten Augen an. In der Hand hielt er eine Flasche in einer braunen Papiertüte.
    Erstaunt, als Gildejägerin angesprochen zu werden und nicht als Engel, blieb Elena stehen. Bald hatten sich ihre Augen weit genug an die Dunkelheit gewöhnt, um die Schnittnarben an den Händen des Mannes erkennen zu können. Ihr wurde ganz elend zumute. Kein Jäger wurde von seinen Schwestern und Brüdern im Stich gelassen – aber einige entschieden sich dafür, in die Dunkelheit zu verschwinden und nie wiederzukommen.
    »Jäger!« Sie erwies ihm denselben Respekt, den er ihr gezollt hatte. »Die Gilde steht dir immer offen.« Jeder Jäger zahlte einen bestimmten Beitrag seiner Einnahmen an die Gilde, unter anderem, damit für körperlich oder seelisch behinderte Kollegen gesorgt werden konnte. »Ich kann dort für dich anrufen.«
    »Mir gefällt es hier draußen.«
    Was wusste Elena denn von seiner Geschichte? Was wusste sie von dem, was er erlebt, was er überlebt, warum er sich für die Straße entschieden hatte? Es war nicht an ihr, hier zu urteilen. »Bist du immer hier?«, wollte sie wissen.
    Er nickte.
    »Ich bitte eine der Gildepatrouillen, dir Essen zu bringen.« Wenn es anfing zu schneien, würde sie ihn überreden, in ein besseres Schlafquartier umzuziehen. »Vielleicht können sie dir auch ein kleines Zelt vorbeibringen?« Natürlich nichts, was Diebe anlockte. »Wäre das in Ordnung?«
    Eine lange Pause, in der die geröteten Augen sie gründlich musterten. »Solange es für zwei reicht«, sagte der Mann schließlich mit einem Blick auf ein weiteres Kartonensemble auf der anderen Seite des Durchgangs. »Wir müssen aufeinander aufpassen, so ist das hier.«
    »Pass auf dich auf.« Elena nickte ihm zu.
    »Jage wohl.«
    Weiter ging es, bis der stockfinstere Durchgang sie am anderen Ende auf den Parkplatz hinter einem asiatischen Restaurant entließ. Sie war am Rande von Chinatown angekommen. Eine einzelne, gelbe Straßenlaterne hüllte die Gegend in leicht anämisches Licht, schuf Teiche aus düsteren Schatten auf dem Asphalt, ließ die dunkelgrünen Müllcontainer zu einer stummen Bedrohung werden.
    »Reiß dich zusammen, Ellie.«
    Sie folgte dem verdächtigen Geruch bis zu einer Stelle, wo der Zaun eine Lücke aufwies und schaffte es, sich durch den zerfetzten Maschendraht zu zwängen, ohne dass eine einzige Feder hängen blieb. Der Geruch lag jetzt leichter wahrnehmbar in der Luft, wurde nicht mehr von zahllosen Vampirgerüchen überlagert. Dies hier war eine Gegend mit billigen Restaurants, die schmackhaftes Essen servierten. Sie wurde überwiegend von Menschen frequentiert, aber auch ein paar Engel gehörten zu ihren regelmäßigen Besuchern, wie Elena wusste.

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