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Engelsnacht

Engelsnacht

Titel: Engelsnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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sie ein weißes Hemd mit aufgestelltem Kragen. Ihre schwarzen Stoffhosen hatten die perfekte Länge, ihre schwarzen Halbschuhe waren auf Hochglanz poliert. Von allen Jugendlichen hier hätten sie noch am ehesten als Schüler von Dover durchgehen können. Aber bei genauerem Hinsehen stellte sich schnell heraus, das sie anders als alle Jungen waren, die Luce bisher gekannt hatte. Jungen wie Trevor.
    Sie standen nur ruhig da, eine Gruppe von mehreren Jungen. Dennoch strahlten sie Härte und Abgebrühtheit aus. Es war etwas in ihren Augen. Etwas, das schwer zu beschreiben war. Aber mit einem Mal wurde Luce bewusst, dass alle an der Schule, genauso wie sie, ihre Vergangenheit hatten. Jeder hier hatte seine Geheimnisse, die er für sich behalten wollte. Ob diese plötzliche Erkenntnis sie aber nun weniger einsam oder noch einsamer machte, wusste Luce nicht zu entscheiden.
    Arriane hatte bemerkt, wie Luce ihre Mitschüler gemustert hatte.
    »Wir versuchen alle, das Beste aus unserem Aufenthalt zu machen«, meinte sie achselzuckend. »Und falls du die tieffliegenden Geier noch nicht bemerkt haben solltest: Es riecht hier ziemlich stark nach Tod.« Arriane steuerte mit Luce auf eine Bank unter einer Trauerweide zu.
    Luce wischte die nassen, halb vermoderten Blätter fort und wollte sich gerade hinsetzen, da bemerkte sie ihn.
    Ein weiterer Verstoß gegen die Kleiderordnung.
    Ein umwerfender Verstoß.
    Er hatte einen leuchtend roten Schal um den Hals geschlungen. Und obwohl es wirklich nicht kalt war, trug er
über seinem schwarzen Sweater auch noch eine schwarze Motorradlederjacke. Vielleicht lag es nur daran, dass dieser rote Schal der einzige Farbfleck auf dem ganzen Schulgelände war, aber Luce konnte ihre Augen überhaupt nicht mehr davon abwenden. Alles andere um sie herum verblasste, und einen Augenblick lang vergaß Luce sogar, wo sie war.
    Sie saugte alles in sich auf. Seine golden schimmernden Haare, seine bronzene Haut. Seine hohen Wangenknochen. Die schwarze Sonnenbrille, die seine Augen verdeckte. Seine sanft geschwungenen Lippen. In sämtlichen Filmen, die Luce gesehen hatte, und in sämtlichen Büchern, die sie gelesen hatte, sah der Junge, in den sich alle verliebten, immer umwerfend gut aus - bis auf einen klitzekleinen Makel. Ein schiefer Zahn, eine widerspenstige Haarsträhne, ein Leberfleck auf der linken Wange. Sie wusste auch, warum das so war - wenn der Held zu perfekt war, dann erschien er unerreichbar. Aber ob unerreichbar oder nicht, Luce hatte schon immer eine große Schwäche für vollkommene Schönheit gehabt. Und erst recht, wenn es um Jungs ging. Wie diesen hier.
    Er lehnte an dem Gebäude, die Arme lässig vor dem Körper verschränkt. Und für den Bruchteil einer Sekunde sah Luce ein Bild vor sich aufblitzen. Sie sah sich selbst in den Armen dieses Jungen. Sie schüttelte den Kopf, aber das Bild hatte sich ihr bereits so eingebrannt, dass sie beinahe schon auf ihn zustürmen wollte.
    Nein. Das war verrückt. Oder? Sogar in dieser Schule mit lauter Durchgeknallten hätte jeder zugestimmt, dass das völlig verrückt war. Sie wusste überhaupt nicht, wer er war. Sie hatte noch kein einziges Wort mit ihm gesprochen.
    Er unterhielt sich gerade mit einem anderen Jungen, etwas kleiner als er selbst, mit Dreadlocks und einem großen, breit
grinsenden Mund. Beide lachten laut und herzlich miteinander - was Luce seltsamerweise eifersüchtig machte. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal so gelacht hatte, so fröhlich und unbeschwert.
    »Das ist Daniel Grigori«, sagte Arriane nach einem kurzen Seitenblick, und als könnte sie Gedanken lesen, fügte sie hinzu: »Na, ich glaube, da interessiert sich jemand für ihn.«
    »Möglicherweise«, meinte Luce etwas verlegen.
    »Na ja, Geschmackssache«, sagte Arriane. »Wenn man so was mag.«
    »Was soll man an ihm denn nicht mögen?«, fragte Luce hastig. Die Wörter stolperten ihr einfach aus dem Mund heraus, sie konnte sie nicht zurückhalten.
    »Sein Freund, mit dem er da gerade spricht«, erklärte Arriane, »das ist Roland. Ein wirklich cooler Junge. Der weiß genau, wie er es anpacken muss, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Nein, verstehe ich nicht. Luce biss sich auf die Lippe. »Was anpacken?«, fragte sie.
    Aber Arriane zuckte nur mit den Schultern und zog ihr Schweizer Armeemesser heraus, um damit einen Faden an ihrer ausgefransten Jeans abzuschneiden. »Ach, alles Mögliche. Dinge, wo man etwas wirklich wollen muss, damit man

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