Engelspakt: Thriller (German Edition)
bestürzt zu dem Arzt und der Krankenschwester hinüber, doch die beiden schienen weder das nebelhornartige Dröhnen und die brennende Welt noch das große Abschlachten oder den tödlich getroffenen Papst wahrzunehmen. Es war, als spielte sich das alles ausschließlich in Davids Fantasie ab.
Dann fingen irgendwelche Apparaturen ohrenbetäubend laut an zu piepsen. Apparaturen, die David jedoch nicht mit sich selbst in Verbindung brachte, sondern mit dem bewusstlosen Mann auf dem Bett. Der Arzt und die Krankenschwester wirkten auf einmal noch besorgter. Beide besprachen sich, und dann verließ die Krankenschwester den Raum, um Hilfe zu holen, während der Arzt bei dem Bewusstlosen blieb.
David spähte voller Angst vom brennenden Horizont zu dem bewusstlosen Kardinal hinüber und erkannte mit einem Mal, dass der Mann ihn ansah, obwohl seine Augen geschlossen waren. Der Kardinal wusste um die Schlacht und um den flammenden Horizont dort draußen. Er wusste um das brennende Rom und um das vergossene Blut Papst Leos.
»Fürchte dich nicht«, hörte David die Stimme des Mannes plötzlich sagen. Im selben Moment fand er sich an einem ganz anderen Ort wieder, einem Ort, der so unglaublich weiß war, dass es keinerlei Ablenkung, keinerlei Orientierung gab, bis auf den Mann, der unversehens vor David stand.
»Was du da gesehen und gehört hast, war die Zukunft. Aber es ist noch nicht alles vorbei.«
»Was ist noch nicht vorbei?« Nach wie vor dröhnte das Nebelhorn in Davids Geist, ließ ihn erzittern.
»Der Kampf gegen die Kräfte der Finsternis. Was dich durchdrungen hat, war die Ankündigung des Jüngsten Gerichts. Die Schallwellen von Gabriels Horn.«
Während der Mann dies sagte, erhaschte David über das unendliche Weiß hinweg einen Blick auf seine Aura. Für gewöhnlich waren Auren grauorange mit roten oder grauen Schlieren, typisch menschlich und emotional eben. Diese Aura hingegen war völlig anders. Nie zuvor hatte David etwas Vergleichbares gesehen, jedenfalls nicht in der Realität oder während einer Sondierung. Es war, als brannte die Luft um diesen Mann, als stünde Kardinal Ciban in einer blauweißen Sonnenflut, als wären die Flammen seiner Aura hinter seinem Rücken gekreuzt wie zwei glühende Schwerter. Am Rand der Aura pulsierten diffuse schwarze Schatten, die ein unheimliches Eigenleben zu führen schienen.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin der Junge aus deiner Vision.«
David starrte den Mann an. Wenn nicht dieses strahlende Weiß in Verbindung mit diesem strahlenden Blau gewesen wäre, und dazu diese strahlenden Augen … Es ging eine tiefe Dunkelheit vom Wesen dieses Mannes aus, wie ein fernes Echo.
»Wenn Sie der Junge aus meiner Vision sind, wo bin ich dann? Und warum bin ich hier?«
»Du bist in meinem Geist, und ich bin in deinem Geist. Der telepathische Alphawellenzustand, in dem sich unsere Gehirne befinden, macht diese Begegnung möglich.«
»Dann sind wir … tot?«
»Wir befinden uns in einem todesähnlichen Zustand. Was du siehst, ist der Schleier des Todes, die Transzendenz, die alles vereint und durchdringt.«
David blickte sich in dem Raum um. »Wir sind die Einzigen hier.«
»Weil dieser Augenblick, dieses Band, nur zwischen uns existiert.«
Der Mann deutete zwischen sich und David, und dabei sah David die silberne Kordel, die ihre beiden Geistkörper miteinander verband.
»Was bedeutet das?«
»Dass es aus irgendeinem mir unbekannten Grund eine Verbindung zwischen uns gibt. Du hast mich hierhergeholt. Nicht ich dich. Wie ist dein Name?«
»David.«
»Und wie lautet dein Nachname?«
»Einfach nur David.«
Kardinal Ciban hatte ihn nachdenklich angeschaut, so dass David sich gefragt hatte, ob der Kardinal über die Kordel vielleicht doch mehr sah, als er zugab.
»Also, warum bin ich hier, mein Junge?«
Just in diesem Moment erklang ein durchgehender, penetranter Piepton. Der weiße Schleier wurde transparent, und David verfolgte, wie die beiden Weißkittel über drei Minuten lang versuchten, ihn wiederzubeleben.
»Lassen wir es gut sein«, sagte einer der beiden schließlich. »Es ist vorbei.« Der Mann schloss Davids Augen, nahm das weiße Laken und zog es über sein ausdrucksloses Gesicht.
David konnte es nicht fassen. Er war tot. Und dennoch lebte er.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte er den Mann an seiner Seite.
»Abwarten. Es ist noch nicht vorbei.«
Die Tür ging auf. Ein kleiner, dicker Mann kam herein und riss das Laken mit einem Ruck von Davids Körper.
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