Engelspakt: Thriller (German Edition)
angehörte. Wie sehr ihn die Gesichtszüge dieser jungen Nonne an seine Frau Sarah erinnerten.
Scrimgeour passierte die Kapelle des heiligen Sebastian und die Vorhalle des Doms, dann trat er auf die große Freitreppe hinaus und nahm mehrere Beruhigungstabletten. Ob er es wollte oder nicht, die Begegnung mit der Ordensfrau hatte ihn binnen eines Sekundenbruchteils in die Vergangenheit katapultiert, zu jenem Tag, als Sarah nach Rom aufgebrochen war, um mit ihrer Familie alles zu klären.
»Was auch immer geschieht, wie auch immer diese Reise ausgeht, ich liebe dich«, hatte sie mit einem seltsam prophetischen Unterton in der Stimme gesagt. Ihre blauen Augen hatten unter dem dunklen, langen Haar wie zwei Sterne geschimmert.
Scrimgeour war von ihrer Bemerkung wie vor den Kopf gestoßen und gleichzeitig völlig fasziniert gewesen, als hätte seine Frau mit ihren Worten eine höhere Wahrheit berührt.
Sarah war von dieser Reise nicht zurückgekehrt. Als ihr offiziell nicht existierender Ehemann hatte er erst zwei Tage nach der Beisetzung von ihrem Tod erfahren, unmittelbar nach einer Vorlesung über Engel in der christlichen Kirchenkunst. Und zwar über die römischen Medien, die er mit seiner Frau via Satellit ein- bis zweimal die Woche verfolgt hatte, damit sie auf dem Laufenden blieb und er sein Italienisch verbessern konnte. Sarahs Vater hatte in einem Interview von einem tragischen Unfall gesprochen. Scrimgeour hätte den Zusammenhang gar nicht erkannt, hätte der Sender nicht Sarahs Porträt für wenige Sekunden eingeblendet. Damals war ihm auch erst bewusst geworden, wie prominent die Familie Ciban tatsächlich war.
Nie würde er diesen Tag, diese Stunde vergessen.
Er hatte später lediglich noch in Erfahrung bringen können, dass es eine Feuerbestattung gegeben hatte. Bis heute wusste er nicht einmal genau, wo Sarahs Grab lag.
11.
Catherine sah dem Briten noch einen Augenblick hinterher, ehe sie ihren Weg fortsetzte. Es ärgerte sie, dass sie den trauernden Mann durch ihre spontane Sorge aus dem Dom vertrieben hatte. Das nächste Mal würde sie vorsichtiger sein, egal wie verzweifelt die Ausstrahlung einer menschlichen Aura ihr auch erschien.
Sie atmete tief durch und hielt schließlich vor einer massiven, von zwei Gardisten bewachten Bronzetür inne, wo sie jedoch nicht Bruder Anselmus, sondern ein alter, kahlköpfiger Archivar mit Hornbrille erwartete.
»Es tut mir leid, Schwester, aber Bruder Anselmus’ Fähigkeiten werden an anderer Stelle benötigt. Ich bin Bruder Albert. Man hat mich über Ihre Recherchen informiert.«
»Ich hoffe, die Versetzung von Bruder Anselmus hat nichts mit mir zu tun?«, wagte Catherine sich vor.
Der alte Mönch bedachte sie mit einem undefinierbaren Lächeln. »Ach, wissen Sie, selbst wenn dem so wäre, würde ich vermutlich als Letzter davon erfahren. In diesen Dingen bin ich schon lange nicht mehr auf dem Laufenden. Aber ich bin noch immer ein guter Archivar, ohne mich selbst loben zu wollen. Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden.«
Albert gab den beiden Schweizergardisten ein Zeichen, die daraufhin die gewaltige Tür entriegelten. Kurz darauf schritt Catherine hinter dem Archivar durch das morbide Zwielicht der Gänge an uralten Bücherregalen vorbei. Über ihnen tauchten in regelmäßigen Abständen Lichtinseln auf, die erloschen, sobald sie diese passiert hatten. Der Mönch führte sie in einen kleinen Lesesaal mit nur zwei Stehpulten. Als sie eintraten, gingen die Leuchten über ihnen augenblicklich an. Catherine glaubte von irgendwoher ein Geräusch zu vernehmen, das nicht hierher gehörte. Diese immerwährenden rätselhaften Geräusche waren mit ein Grund, weshalb sie sich in den Archiven nicht besonders wohlfühlte. Bruder Albert verschwand für einen Moment im Labyrinth der Regale und kehrte mit einer überdimensional großen Mappe zurück, die er vor ihr auf eines der Pulte legte.
»Das ist das Material, von dem Bruder Anselmus gesprochen hat, Schwester. Da die Unterlagen das Archiv nicht verlassen dürfen, müssen Sie sie vor Ort einsehen.« Er reichte Catherine ein paar Baumwollhandschuhe. »Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen. Ich werde es mir am Nachbarpult mit einigen Schriften gemütlich machen.«
»Danke, Bruder Albert.« Sie zückte ihr Notizbuch, streifte die Handschuhe über, öffnete die Mappe und breitete die Unterlagen vor sich aus.
Anselmus hatte Dokumente aus mehreren Jahrhunderten für sie bereitgelegt. Wahrheit und Irrtum, die
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