Engelsstimme
und …«
»Erzähl mir, was passiert ist«, sagte Erlendur.
»Was für eine Scheiße«, sagte sie. »Ich verstehe ihn einfach nicht. Ich verstehe ihn überhaupt nicht.«
»Wen?«
»Den Jungen!«, sagte Elínborg. »Ich begreife nicht, was das soll.«
Sie erzählte Erlendur, dass sie gestern Abend, anstatt nach Hause zu gehen und zu backen, noch einmal zur psychiatrischen Klinik gefahren war. Sie wusste nicht ganz genau, warum, aber die Sache mit dem Vater und seinem Sohn ließ sie einfach nicht los. Als Erlendur einwarf, es läge vielleicht daran, dass sie es satt hätte, für ihre angeheiratete Verwandtschaft zu backen und zu kochen, brachte sie nicht einmal ein Lächeln zustande.
Sie war bereits früher in der Klinik gewesen und hatte versucht, mit der Mutter des Jungen zu sprechen, aber zu diesem Zeitpunkt stand die Frau so neben sich, dass sie kein vernünftiges Wort aus ihr herauslocken konnte. Gestern Abend war es genau das Gleiche gewesen. Die Mutter saß da, wiegte den Oberkörper vor und zurück und war völlig weggetreten. Elínborg wusste nicht genau, was sie eigentlich aus ihr herausholen wollte, aber sie ging davon aus, dass die Frau etwas über das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wissen könnte, was bislang noch nicht bekannt geworden war.
Sie wusste, dass die Mutter in regelmäßigen Abständen in der Psychiatrie behandelt werden musste. Sie wurde eingeliefert, wenn es ihr gerade mal wieder eingefallen war, ihre Medikamente im Klo hinunterzuspülen. Solange sie unter Psychopharmaka stand, war sie einigermaßen in Ordnung und kümmerte sich vorbildlich um den Haushalt. Auch die Lehrerin des Jungen, mit der Elínborg gesprochen hatte, schien einen guten Eindruck von ihr zu haben.
Elínborg saß im Aufenthaltsraum, wohin die Krankenschwester die Mutter gebracht hatte, und beobachtete die Frau, die sich unentwegt eine Haarsträhne um den Zeigefinger wickelte und etwas vor sich hin murmelte, was Elínborg nicht verstand. Sie versuchte mit ihr zu reden, aber es war, als sei sie überhaupt nicht anwesend. Die Frau zeigte keinerlei Reaktion auf ihre Fragen. Sie wirkte wie eine Schlafwandlerin.
Elínborg saß eine ganze Weile bei ihr, bis ihr wieder all die Plätzchensorten einfielen, die noch nicht gebacken waren. Sie stand auf, um jemanden zu holen, der die Frau wieder auf ihre Station bringen würde, und traf auf dem Gang einen Aufseher, der um die dreißig zu sein schien und sich dem Aussehen nach in seiner Freizeit mit Gewichtheben beschäftigte. Er trug weiße Hosen und ein weißes T-Shirt, die kräftigen Muskeln spielten bei jeder Bewegung. Der Kopf mit den kurz geschorenen Haaren war rundlich, und die Augen lagen tief. Elínborg fragte ihn nicht nach seinem Namen.
Er folgte ihr in den Aufenthaltsraum.
»Ach, da haben wir ja die liebe Dóra«, sagte der Wärter, ging zu der Frau hin und packte sie am Arm. »Zur Abwechslung mal ruhig heute Abend.«
Die Frau erhob sich genauso apathisch wie zuvor.
»Haben sie dich so gedopt, du Ärmste«, sagte der Wärter, und Elínborg gefiel der Ton nicht. Er schien zu einem fünfjährigen Kind zu sprechen. Und was bedeutete das, dass sie heute Abend zur Abwechslung mal ruhig war? Sie konnte sich nicht zurückhalten.
»Sprich doch nicht mit ihr wie mit einem kleinen Kind«, sagte sie und klang schroffer, als sie eigentlich wollte.
Der Aufseher schaute sie an.
»Geht dich das etwas an?«, fragte er.
»Sie hat genau wie alle anderen das Recht, dass man ihre Menschenwürde respektiert«, sagte Elínborg und verkniff es sich, zu erwähnen, dass sie bei der Kriminalpolizei war. »Das kann schon sein«, sagte der Wärter. »Ich glaube aber nicht, dass ich sie menschenunwürdig behandle. Na, jetzt komm schon, Dóra«, sagte er und führte die Frau hinaus auf den Korridor.
»Was meinst du damit, dass sie heute Abend zur Abwechslung mal ruhig ist?«
»Ruhig, heute Abend?«, wiederholte der Aufseher und drehte sich zu Elínborg um.
»Du hast gesagt, sie wäre ja geradezu ruhig heute Abend«, sagte Elínborg. »Sollte sie das vielleicht nicht sein?«
»Ich nenne Dóra manchmal The Fugitive «, sagte der Krankenwärter. »Sie reißt immer wieder aus.«
Elínborg verstand ihn nicht.
»Wovon redest du eigentlich?«
»Hast du den Film nicht gesehen?«, sagte der Aufseher.
»Haut sie von hier ab?«, sagte Elínborg. »Aus der Klinik?« »Oder wenn wir einen Ausflug in die Stadt machen«, erklärte der Aufseher. »Das letzte Mal ist sie beim Ausflug in
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