Engelsstimme
das Bett gemacht, die Handtücher ausgewechselt, ein neues Stück Seife auf das Waschbecken gelegt. Er spürte die Nähe dieser Person, die sein Zimmer in Ordnung brachte, aber er bekam sie nie zu Gesicht und wusste nicht, wer in seinem Leben aufräumte.
Er war an diesem Morgen zur Rezeption gegangen und hatte darum gebeten, dass sein Zimmer nicht angerührt wurde.
Wapshott würde sich im Verlauf des Vormittags noch einmal mit ihm treffen und ihm mehr über seine Plattensammlung und die Karriere von Guðlaugur Egilsson erzählen. Sie hatten sich mit Handschlag verabschiedet, nachdem sie gestern Abend von Valgerður unterbrochen worden waren. Wapshott hatte kerzengerade dagestanden und darauf gewartet, dass Erlendur ihn dieser Frau vorstellen würde, aber als nichts dergleichen geschah, streckte er selber die Hand aus, sagte seinen Namen und verbeugte sich. Dann zog er sich mit der Entschuldigung zurück, er sei müde und hungrig und wolle noch mal kurz auf sein Zimmer, bevor er etwas zu sich nähme und anschließend zu Bett ginge.
Sie hatten ihn nicht in den Speisesaal kommen sehen, während sie dort aßen und miteinander redeten. Vielleicht hatte er sich das Essen aufs Zimmer bestellt. Valgerður hatte bemerkt, wie müde er aussah.
Erlendur hatte sie zur Garderobe begleitet und ihr in die schöne Lederjacke geholfen. Er war mit ihr zur Drehtür gegangen, wo sie einen Augenblick innehielten, bevor sie in das Schneetreiben hinausging. Beim Einschlafen, nachdem Eva Lind ihn verlassen hatte, begleitete ihn Valgerðurs Lächeln in den Schlaf und ein schwacher Hauch von ihrem Parfüm, der an seiner Hand haften geblieben war, nachdem sie sich verabschiedet hatten.
»Erlendur?«, sagte Sigurður Óli. »Hallo? Was für ein Mann ist Wapshott?«
»Ich weiß nur, dass er Engländer ist und Platten sammelt«, erklärte Erlendur, der ihnen über das Gespräch mit Wapshott berichtet hatte. »Und er wird morgen das Hotel verlassen. Du solltest dich telefonisch mit den Kollegen in England in Verbindung setzen und Erkundigungen über ihn einziehen. Ich treffe ihn am späten Vormittag noch einmal, und dann kriege ich mehr aus ihm heraus.«
»Ein Chorknabe?«, fragte Elínborg. »Wer würde einen Chorknaben umbringen?«
»Er war natürlich kein Chorknabe mehr«, warf Sigurður Óli ein.
»Er war früher einmal berühmt«, sagte Erlendur. »Die Platten, die mit ihm herausgegeben wurden, sind offensichtlich auch heute noch gefragt und gelten als Rarität. Ihretwegen kommt Henry Wapshott extra aus England angereist, und auch seinetwegen. Sein Spezialgebiet sind Knabenchöre beziehungsweise Chorknaben.«
»Ich kenne bloß die Wiener Sängerknaben«, sagte Sigurður Óli.
»Spezialgebiet Knaben«, sagte Elínborg. »Was für ein Mensch ist das, der Chorknaben auf Schallplatten sammelt? Sollte man nicht ein bisschen darüber nachdenken? Stimmt da womöglich was nicht mit diesem Mann?«
Erlendur und Sigurður Óli schauten sich an.
»Was meinst du damit?«, fragte Erlendur.
»Was?«, sagte Elínborg und machte große Augen.
»Findest du es merkwürdig, Schallplatten zu sammeln?« »Nicht Platten, sondern Chorknaben«, sagte Elínborg. »Chorknaben auf Schallplatten. Da ist schon ein gewisser Unterschied, finde ich. Seht ihr wirklich nicht, dass das nicht ganz normal ist?« Sie blickte von einem zum anderen.
»Ich habe einfach nicht deine schmutzige Phantasie«, sagte Sigurður Óli und blickte auf Erlendur.
»Schmutzige Phantasie! Habe ich mir etwa den Weihnachtsmann in seinem Kabuff mit runtergelassenen Hosen und einem Kondom am Pimmel eingebildet? Brauchte es dazu irgendwelche Phantasie? Und dann stellt sich heraus, dass hier ein Mann im Hotel ist, der den Weihnachtsmann verehrt, aber nur als er zwölf Jahre alt war oder so, und er kommt extra von England hierher, um sich mit ihm zu treffen. Tickt ihr eigentlich noch richtig?«
»Deiner Meinung nach hat das also etwas mit seinem Sexualverhalten zu tun?«, fragte Erlendur.
Elínborg verdrehte die Augen.
»Tut doch nicht so, als ob ihr Mönche wärt!«
»Er ist doch bloß Schallplattensammler«, sagte Sigurður Óli. »Wie Erlendur gesagt hat, es gibt sogar Leute, die Kotztüten sammeln. Was mögen die wohl für sexuelle Gepflogenheiten haben, gemessen an deinen Theorien?«
»Ich begreife nicht, wir ihr so blind sein könnt! Oder so verklemmt. Warum sind Männer immer so blockiert und verklemmt?«
»Mensch, fang jetzt bloß nicht mit so was an«, sagte Sigurður Óli.
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