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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Zimmer des Jungen.«

    Erlendur starrte immer noch zur Decke, als an die Tür geklopft wurde. Er stand auf und öffnete. Eva Lind schlüpfte herein. Erlendur schaute auf den Flur hinaus und machte die Tür hinter ihr zu.
    »Mich hat niemand gesehen«, sagte Eva. »Es wäre aber viel einfacher, wenn du bei dir zu Hause wärst. Ich kapier nicht, was bei dir abgeht.«
    »Ich komm schon irgendwann nach Hause«, sagte Erlendur. »Mach dir deswegen keine Gedanken. Wieso treibst du dich so herum? Fehlt dir was?«
    »Muss ich einen besonderen Grund haben, wenn ich dich treffen will?«, sagte Eva, setzte sich an den Schreibtisch und zog eine Zigarettenschachtel heraus. Sie warf eine Plastiktüte auf den Boden und nickte ihm zu. »Ich hab dir ein paar Klamotten gebracht«, sagte sie. »Falls du hier im Hotel herumhängen willst, brauchst du was zum Wechseln.«
    »Vielen Dank«, sagte Erlendur und setzte sich ihr gegenüber aufs Bett. Er bekam eine Zigarette von ihr, und Eva zündete sie für sie beide an.
    »Nett, dich zu sehen«, sagte er und blies den Rauch von sich.
    »Kommst du vorwärts mit dem Weihnachtsmann?«
    »So langsam. Was gibt ’s Neues bei dir?«
    »Nichts.«
    »Was macht deine Mutter, hast du sie getroffen?«
    »Ja, immer dasselbe. Bei ihr tut sich überhaupt nichts. Arbeit, Glotze, Schlafen. Arbeit, Glotze, Schlafen. Ist das alles, was einen erwartet? Soll man sich deswegen auf dem geraden Weg halten, nur um sich krumm zu schuften, bis man umfällt? Und guck dich doch bloß mal selber an! Hockst da wie ein Trottel in einem Hotelzimmer rum, anstatt dich nach Hause zu verkrümeln!«
    Erlendur inhalierte tief und blies den Rauch durch die Nase aus.
    »Ich hatte nicht vor, zu …«
    »Nein, ich weiß«, unterbrach ihn Eva Lind.
    »Hältst du nicht mehr durch?«, sagte er. »Als du gestern gekommen bist …«
    »Ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll.«
    »Was ertragen?«
    »Dieses Scheißleben!«
    Sie saßen und rauchten, und die Zeit verging.
    »Denkst du manchmal an das Kind?«, fragte Erlendur schließlich. Nach der Fehlgeburt hatte sie immer wieder schwere Depressionen gehabt. Erlendur wusste, dass das alles andere als ausgestanden war. Sie gab sich immer noch selbst die Schuld am Tod des Kindes. An dem Abend, an dem er sie nach ihrem Notruf in einer Blutlache vor dem Krankenhaus gefunden hatte, hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre selber ums Leben gekommen.
    »Dieses Scheißleben«, sagte sie noch einmal und drückte die Zigarette auf der Tischplatte aus.
     
    Als Eva Lind weg war und Erlendur sich hingelegt hatte, klingelte das Telefon auf dem Nachttisch. Es war Marian Briem.
    »Weißt du, wie spät es ist?«, fragte Erlendur und schaute auf seine Armbanduhr. Es war schon nach Mitternacht.
    »Nein«, sagte Marian. »Ich habe über diese Speichelspuren nachgedacht.«
    »Den Speichel an dem Kondom?«, fragte Erlendur und hatte keine Lust, sich aufzuregen.
    »Die finden das sicher auch selber heraus, aber es kann vielleicht nichts schaden, sie an das Kortisol zu erinnern.« »Ich muss sowieso noch mit der Abteilung reden, die werden uns bestimmt etwas über das Kortisol erzählen.«
    »Dann kannst du dir das eine oder andere ausrechnen und sehen, was sich da in diesem Kellerloch abgespielt hat.«
    »Ich weiß, Marian. Sonst noch was?«
    »Ich wollte dich nur an das Kortisol erinnern.«
    »Gute Nacht, Marian.«
    »Gute Nacht.«

Dritter Tag

Neun
    Früh am darauf folgenden Tag trafen sich Erlendur, Sigurður Óli und Elínborg zu einer Besprechung im Hotel. Sie bedienten sich am Frühstücksbüfett und nahmen etwas abseits an einem kleinen runden Tisch Platz. In der Nacht hatte es zwar geschneit, es war dann aber wieder wärmer geworden, und auf den Straßen war inzwischen kein Schnee mehr zu sehen. Das Wetteramt prophezeite grüne Weihnachten. Der Weihnachtsrummel hatte seinen Höhepunkt erreicht. Lange Autoschlangen bildeten sich an allen Kreuzungen Reykjavíks, und in der Stadt wimmelte es von Menschen.
    »Dieser Wapshott«, sagte Sigurður Óli. »Wer ist das?«
    Viel Lärm um nichts, dachte Erlendur, nahm einen Schluck Kaffee und blickte aus dem Fenster. Merkwürdiger Ort, so ein Hotel. Es war eine Abwechslung, in einem Hotel zu übernachten, aber es war ein merkwürdiges Gefühl, dass jemand in seiner Abwesenheit sein Zimmer betrat und alles in Ordnung brachte. Er verließ sein Zimmer morgens, und wenn er das nächste Mal wieder hereinkam, war jemand drinnen gewesen und hatte alles aufgeräumt;

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