Engelsstimme
und morgen früh mit ihm zu reden?«
»Hat er Theater gemacht?«
»Nein, überhaupt nicht. Mir wurde gesagt, dass er stumm und ohne Proteste mitgekommen ist. Sie haben ihn bei der Passkontrolle rausgefischt und ihn bis zum Eintreffen der Polizei im Durchsuchungsraum festgehalten, und die haben ihn direkt nach Reykjavík gebracht. Kein Theater. Er war äußerst schweigsam und ist dann auf dem Weg in die Stadt einfach eingeschlafen. Pennt jetzt in seiner Zelle.«
»Das Ganze wurde schon in den Nachrichten gebracht, wenn ich richtig verstehe«, sagte Erlendur. »Das mit der Verhaftung.« Er blickte auf den Hotelmanager. »Man macht sich Hoffnungen, dass wir den Richtigen erwischt haben.«
»Er hatte nur Handgepäck bei sich. Eine große Aktentasche.«
»Was ist da drin?«
»Schallplatten. Alte. Dasselbe Vinylzeugs, das wir da unten im Keller gefunden haben.«
»Du meinst Platten mit Guðlaugur?«
»Ich glaube ja. Nicht viele. Aber auch noch ein paar andere Platten. Du kannst dir alles morgen anschauen.«
»Er ist hinter den Platten mit Guðlaugur her.«
»Vielleicht hat er seine Sammlung erweitern können«, sagte Sigurður Óli. »Sollen wir uns morgen früh hier im Dezernat treffen?«
»Wir brauchen eine Speichelprobe von ihm«, sagte Erlendur.
»Ich kümmere mich darum«, sagte Sigurður Óli.
Erlendur steckte das Handy wieder in die Tasche.
»Hat er gestanden?«, fragte der Hotelmanager. »Hat er schon gestanden?«
»Kannst du dich von früher an ihn hier im Hotel erinnern? Henry Wapshott. Aus England. Ein Mann um die sechzig. Er hat mir gesagt, es sei seine erste Reise nach Island, aber dann hat sich herausgestellt, dass er schon früher hier im Hotel übernachtet hat.«
»Ich kann mich an niemanden mit diesem Namen erinnern. Hast du ein Foto von ihm?«
»Ich muss eins besorgen und feststellen, ob jemand vom Personal ihn kennt. Kann sein, dass sie sich an irgendwas im Zusammenhang mit dem Kerl erinnern. Es spielt keine Rolle, wie unbedeutend das scheinen mag.«
»Hoffentlich kannst du damit den Fall abschließen«, sagte der Hotelmanager ächzend. »Wir haben schon Stornierungen wegen des Mords bekommen, in der Mehrzahl von Isländern, bis ins Ausland ist wohl noch nichts durchgedrungen. Aber beim Weihnachtsbüfett ist viel weniger zu tun, die Tischbestellungen sind zurückgegangen. Ich hätte es nie zulassen sollen, dass er da im Keller gewohnt hat. Das hat man von seiner Nettigkeit.«
»Davon hast du ja reichlich«, bemerkte Erlendur.
Der Hotelmanager warf ihm einen unsicheren Blick zu, fragte sich offenbar, wie das wohl zu verstehen war, aber Erlendur verzog keine Miene. Der Leiter der Spurensicherung trat auf den Gang hinaus, begrüßte den Hotelmanager und zog Erlendur zur Seite.
»Sieht alles aus wie bei einem ganz normalen Reisenden in einem normalen Hotelzimmer in Reykjavík«, sagte er. »Die Mordwaffe liegt nicht auf seinem Nachttisch, falls du das erwartet hast, und in dem Koffer sind keine blutigen Sachen, eigentlich gar nichts, was ihn mit dem Mann im Keller verbindet. Aber es gibt massenweise Fingerabdrücke in dem Zimmer. Fest steht auf jeden Fall, dass der Mann seine Flucht geplant hat. Er hat das Zimmer zwar so zurückgelassen, dass es aussieht, als wolle er nur zur Bar. Der Akku seines Rasierapparats war zum Aufladen in die Steckdose gesteckt, ein paar Schuhe standen herum, auch die Pantoffeln, die er dabeihatte, waren noch nicht eingepackt. Das ist im Grunde genommen das Einzige, was wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen können. Der Mann war in Panik. Er wollte möglichst schnell weg.«
Der Leiter der Spurensicherung verschwand wieder im Zimmer, und Erlendur ging zum Hotelmanager zurück.
»Wer ist für die Reinigung hier auf dem Gang zuständig?«, fragte er. »Wer geht in die Zimmer? Die Reinigungskräfte, sind die auf bestimmte Flure verteilt?«
»Ich weiß genau, welches von den Mädels hier für diesen Flur zuständig ist«, sagte der Hotelmanager. Seinem abfälligen Ton nach zu urteilen, schienen Putzarbeiten selbstverständlich Frauensache zu sein.
»Und wer ist das?«, fragte Erlendur.
»Tja, beispielsweise das Mädchen, mit dem du gesprochen hast.«
»Das Mädchen, mit dem ich gesprochen habe?«
»Die aus dem Keller«, sagte der Hotelmanager. »Diejenige, die die Leiche gefunden hat. Das Mädchen, das den toten Weihnachtsmann gefunden hat. Das ist ihr Flur.«
Als Erlendur zwei Stockwerke höher auf sein Zimmer kam, saß Eva Lind auf dem Gang und wartete
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