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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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sagen, wie Guðlaugur gefunden worden war. Er wusste, dass sie, wenn sie Drogen nahm, auch auf den Strich ging und deswegen gut Bescheid wusste, was in Reykjavík ablief. Trotzdem scheute er sich davor, ihr ins Gewissen zu reden. Sie lebte ihr Leben und tat genau das, was sie wollte, ohne dass er jemals Einfluss darauf nehmen konnte. Er hielt es aber für möglich, dass Guðlaugur hier im Hotel jemanden für gewisse Dienste bezahlt hatte, und er fragte, ob sie wüsste, was hier im Hotel in Sachen Prostitution ablief.
    Eva Lind schaute ihren Vater an.
    »Der arme Kerl«, sagte sie und antwortete nicht auf seine Frage. »Sie war in Gedanken immer noch bei dem Chorknaben. »Da war so ein Mädchen bei mir in der Schule, in der Grundschule. Die hat ein paar Platten besungen, sie hieß Vala Dögg. Kannst du dich an sie erinnern? Damals wurde unheimlich viel Tamtam um sie gemacht. Sie hat Weihnachtslieder gesungen. Ein blondes, unheimlich süßes kleines Mädchen.«
    Erlendur schüttelte den Kopf.
    »Die war so ein Kinderstar. Ist auch in der Kinderstunde und in anderen Fernsehsendungen aufgetreten und hat richtig gut gesungen, das kleine Ding. Ihr Vater war irgendso ’ne kleine Nummer im Pop-Business, aber ihre Mutter, die war total durchgeknallt und wollte sie unbedingt zum Popstar machen. Das Mädchen wurde ständig damit aufgezogen. Sie war wirklich lieb und nett und überhaupt nicht eingebildet oder affektiert, aber sie wurde immer gemobbt. Shit, dass die Leute hier immer gleich neidisch sind und keinem was gönnen. Ja, sie wurde richtiggehend gemobbt, und dann hat sie später einfach mit der Schule aufgehört und angefangen zu arbeiten. Ich habe sie oft in der Szene getroffen, sie war viel schlimmer dran als ich, total am Ende. Sie hat mir gesagt, das sei das Schlimmste gewesen, was ihr passieren konnte.«
    »Ein Kinderstar zu werden?«
    »Das hat sie vollkommen kaputtgemacht. Davon hat sie sich nie erholt. Sie durfte nie sie selbst sein. Ihre Mutter war diejenige, die immer alles bestimmt hat. Sie wurde nie gefragt, ob sie das auch wollte. Sie hat gern gesungen, und sie fand es schön, im Mittelpunkt zu stehen und all das, aber sie hat überhaupt nicht begriffen, was da abging. Sie durfte nur das kleine Püppchen in den Kindersendungen sein. Sie durfte nur eine Dimension haben, sie war die kleine süße Vala Dögg. Und deswegen wurde sie aufgezogen, und erst als sie älter war, hat sie kapiert, warum, und dann hat sie gerafft, dass sie nie etwas anderes sein würde als das singende, süße, kleine Püppchen im süßen, kleinen Kleidchen. Und dass sie nie und nimmer eine weltberühmte Popsängerin werden würde, was ihre Mutter ihr immer eingeredet hatte.«
    Eva Lind schwieg eine Weile und schaute ihren Vater an.
    »Die ist völlig vor die Hunde gegangen. Sie sagte, das Mobben wäre das Schlimmste gewesen, das würde einen völlig kaputtmachen. Man übernimmt auf die Dauer genau das Bild von sich selbst, was diejenigen von einem haben, die einen mobben.«
    »Guðlaugur hat wohl etwas Ähnliches erlebt«, sagte Erlendur. »Er ist ziemlich früh von zu Hause ausgezogen. Es muss eine wahnsinnige Belastung für die Kinder sein, wenn sie mit so etwas konfrontiert werden.«
    Sie schwiegen beide.
    »Klar gibt’s hier Nutten in dem Hotel«, sagte Eva Lind plötzlich und warf sich wieder aufs Bett. »Was hast du denn gedacht?«
    »Was weißt du darüber? Kannst du mir da vielleicht weiterhelfen?«
    »Nutten sind doch überall. Du rufst einfach eine Nummer an, und dann warten sie auf dich im Hotel. Die Edelnutten. Die wollen auch auf gar keinen Fall als Nutten bezeichnet werden, sondern sie nennen das ›Hostessenservice‹.«
    »Kennst du irgendwelche, die mit diesem Hotel in Verbindung stehen, Mädchen oder Frauen, die hier auf den Strich gehen?«
    »Das müssen nicht unbedingt Isländerinnen sein. Die können auch importiert sein. Die reisen einfach als Touristen ein und bleiben ein paar Wochen, da braucht man keine Arbeitserlaubnis, und dann kommen sie nach einem halben Jahr wieder.«
    Eva Lind schaute ihren Vater an.
    »Du solltest mal mit Stína sprechen, mit der bin ich befreundet. Die kennt sich da aus. Glaubst du, dass er von einer Nutte umgebracht worden ist?«
    »Keine Ahnung.«
    Sie schwiegen beide. Draußen in der Finsternis glitzerten die Schneeflocken, die zur Erde fielen. Erlendur erinnerte sich, dass in der Bibel irgendwo von Schnee die Rede war, von Sünden und Schnee, und versuchte, das zu rekapitulieren:

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