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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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er eine gute Ausbildung bekommt, damit etwas aus ihm wird.«
    »Verständlich«, sagte Elínborg. »Aber er ist acht Jahre alt, leidet an Dyslexie und ist nur eine Stufe davon entfernt, als hyperaktiv diagnostiziert zu werden. Du selbst hast auch nicht das Abitur geschafft.«
    »Ich besitze und leite ein Unternehmen.«
    »Das vor dem Bankrott steht. Du bist im Begriff, deine Villa zu verlieren, den Jeep und all die Güter, die dir eine so genannte Position im Leben gegeben haben. Man schaut zu dir auf. Bei Klassentreffen stehst du ganz bestimmt im Mittelpunkt. Golfreisen ins Ausland mit Freunden. Das alles bist du im Begriff zu verlieren. Sehr unerfreulich, vor allem, wenn man bedenkt, dass sich deine Frau in der Psychiatrie befindet und dein Sohn Lernschwierigkeiten hat. All das hat sich in dir angestaut, und du platzt dann plötzlich, als dein Junge, der bestimmt sein ganzes Leben lang Milch verschüttet und Teller kaputtgeschmissen hat, eine Drambuie-Flasche auf den Marmorboden im Wohnzimmer fallen lässt.«
    Der Vater schaute sie an und zeigte keinerlei Reaktion.
    »Meine Frau hat damit überhaupt nichts zu tun«, sagte er. Elínborg hatte sie in der Anstalt besucht. Sie war schizophren und musste manchmal stationär behandelt werden, wenn sie Halluzinationen hatte und die Stimmen nicht mehr ertragen konnte. Als Elínborg mit ihr sprach, war sie so voll gepumpt mit Medikamenten, dass man kaum mit ihr sprechen konnte. Sie saß nur da, wiegte teilnahmslos den Oberkörper vor und zurück und bat Elínborg um eine Zigarette. Sie hatte keine Vorstellung, weshalb Elínborg gekommen war.
    »Ich versuche, ihn so gut wie möglich zu erziehen«, sagte der Vater.
    »Indem du ihm Nadeln in den Handrücken bohrst?«
    »Halt die Klappe.«
    Elínborg hatte mit der Schwester des Mannes gesprochen, die erklärt hatte, dass sie die Erziehungsmethoden etwas rigoros fand. Sie hatte ein Beispiel genannt, das während eines Besuchs passiert war. Damals war der Junge vier Jahre alt gewesen und hatte geklagt, dass er sich nicht wohl fühlte, hatte ein bisschen geweint, und sie war der Meinung gewesen, dass er möglicherweise eine Grippe bekam. Ihr Bruder hatte die Beherrschung verloren, als der Junge eine Weile herumgequengelt hatte, er nahm ihn hoch und hielt ihn in die Luft.
    »Fehlt dir was?«, fragte er barsch.
    »Nein«, sagte der Junge leise und zögernd. Er schien sich nicht mehr zu trauen, etwas zu sagen.
    »Dann hast du auch nicht zu weinen.«
    »Nein«, sagte der Junge.
    »Wenn dir nichts fehlt, hörst du gefälligst auf zu weinen.« »Ja.«
    »Also fehlt dir etwas?«
    »Nein.«
    »Alles in Ordnung also?«
    »Ja.«
    »Gut. Man heult doch nicht einfach so rum.«
    Elínborg schilderte diese Geschichte, aber er zeigte keinerlei Reaktion.
    »Meine Schwester und ich haben kein sonderlich gutes Verhältnis zueinander«, sagte er. »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
    »Hast du deinen Sohn körperlich so gezüchtigt, dass er infolgedessen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste?«
    Der Vater schaute sie an.
    Elínborg wiederholte die Frage.
    »Nein«, sagte er. »Das habe ich nicht gemacht. Glaubst du, dass irgendein Vater sich so verhalten könnte? Er wurde in der Schule attackiert.«
    Nachdem der Junge aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte das Jugendamt ihn bei einer Familie in Pflege gegeben, und nach dem Verhör fuhr Elínborg zu ihm. Sie setzte sich zu ihm und fragte, wie es ihm ginge. Er hatte seit ihrer ersten Begegnung noch kein einziges Wort zu ihr gesagt, aber jetzt schaute er sie so an, als wollte er etwas sagen.
    Er hustete verhalten.
    »Ich vermisse Papa«, sagte er unter Schluchzen.
    Erlendur saß am Frühstückstisch, als Sigurður Óli mit Wapshott im Schlepptau auftauchte. Hinter ihnen nahmen zwei Kriminalbeamte an einem Tisch Platz. Der englische Plattensammler sah etwas ungepflegter aus als beim letzten Mal, die Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und seine Leidensmiene zeugte von unverdienter Erniedrigung und dem verlorenen Kampf gegen Kater und Knast.
    »Was ist eigentlich hier los?«, fragte Erlendur und stand auf. »Warum bringst du ihn hierher? Und warum läuft er frei herum?«
    »Frei herum?«
    »Warum trägt er keine Handschellen?«
    »Findest du das notwendig?«
    Erlendur blickte auf Wapshott.
    »Ich hatte keine Lust, auf dich zu warten«, sagte Sigurður Óli. »Wir können ihn höchstens bis zum Abend festhalten, also musst du so schnell wie möglich eine Entscheidung treffen, ob wir

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