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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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hat?«
    Erlendur war klar, dass sein Gegenüber jeden Moment ausrasten und womöglich handgreiflich werden würde. Der Koch war so dicht an ihn herangetreten, dass sich ihre Gesichter fast berührten.
    »War das dieser verdammte Zuhälter?«, fauchte der Koch. »Wer ist hier ein Zuhälter?«
    »Dieser feiste Fettkloß von einem Manager«, stieß der Koch zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Erlendurs Handy klingelte. Sie fixierten einander mit zusammengekniffenen Augen, keiner von beiden war bereit nachzugeben. Schließlich holte Erlendur das Handy aus der Tasche. Schäumend vor Wut wandte sich der Koch von ihm ab.
    Der Leiter der Spurensicherung war am Apparat.
    »Es ist wegen des Speichels an dem Kondom«, erklärte er, nachdem er seinen Namen genannt hatte.
    »Ja«, sagte Erlendur. »Habt ihr die zugehörige Person schon gefunden?«
    »Nein, das wird bestimmt noch eine Weile dauern. Aber wir haben sie uns genauer angeschaut, also die Zusammensetzung, und wir fanden unter anderem Tabakrückstände.«
    »Tabak? Meinst du, der Täter war Raucher?«
    »Nein, eigentlich mehr im Sinne von Kauresten.«
    »Kauresten?«
    »Die chemische Zusammensetzung. Früher konnte man so was in Tabakläden bekommen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt noch verkauft werden darf. Wir werden dem nachgehen. Die Leute schieben das unter die Lippe, entweder lose oder in kleinen Gazebeutelchen, du musst das doch kennen.«
    Der Koch trat gegen eine Schranktür und ließ eine Schimpfkanonade vom Stapel.
    »Du meinst also Kautabak«, sagte Erlendur. »Gibt es Reste von Kautabak in dem Speichel am Kondom?«
    »Genau«, sagte der Abteilungsleiter.
    »Und was bedeutet das?«
    »Derjenige, der mit dem Weihnachtsmann zusammen war, benutzt Kautabak.«
    »Bringt uns das weiter?«
    »Nein. Noch nicht. Ich dachte bloß, du würdest das wissen wollen. Und dann noch etwas. Du hast nach dem Kortisol im Speichel gefragt. »
    »Ja.«
    »Gemessen wurde nicht viel, es war eigentlich ganz normal.«
    »Und was sagt uns das? Alles war also friedlich?«
    »Falls viel Kortisol gemessen wird, ist der Blutdruck wegen Spannung oder Belastung gestiegen. Wer auch immer mit dem Portier zusammen gewesen ist, war die ganze Zeit völlig gelassen. Keine Spannung. Er hat keine Angst vor nichts gehabt.«
    »Bis dann aber etwas passierte«, sagte Erlendur.
    »Ja«, sagte der Abteilungsleiter. »Bis dann etwas passierte.« Sie beendeten das Gespräch. Erlendur steckte das Telefon wieder in die Tasche. Der Chefkoch stand da und starrte ihn an.
    »Weißt du, ob irgendjemand hier im Hotel Kautabak verwendet?«, fragte Erlendur.
    »Leck mich am Arsch!«, schrie der Koch.
    Erlendur holte tief Atem, nahm die Hände vors Gesicht und rieb es müde. Im Geiste sah er plötzlich die tabakgeschädigten Zähne von Henry Wapshott vor sich.

Zwanzig
    Erlendur fragte in der Rezeption nach dem Hotelmanager und erfuhr, dass er momentan nicht im Haus sei. Der Chefkoch weigerte sich, genauer zu erläutern, warum er den Manager einen Zuhälter genannt hatte, als die Rede auf »diesen verdammten, feisten Fettkloß« kam. Erlendur war noch nie einem derartig cholerischen Menschen begegnet; ihm war klar, dass dem Koch in seiner Wut irgendetwas herausgerutscht war, was er eigentlich nicht hatte sagen wollen. Erlendur wusste im Augenblick aber nicht so recht weiter, denn aus seinem Gegenüber war nichts anderes herauszuholen als Ausflüchte und Verwünschungen. Um den Heimvorteil, den dieser in der Küche hatte, etwas auszugleichen, aber hauptsächlich, um seine Wut noch mehr zu steigern, erwägte Erlendur, vier uniformierte Polizisten ins Hotel zu beordern, den Koch abführen und zur Vernehmung ins Dezernat an der Hverfisgata bringen zu lassen. Er spielte eine Weile mit dem Gedanken, beschloss dann aber, davon abzusehen.
    Stattdessen fuhr er hoch zu Henry Wapshotts Zimmer. Er brach das Polizeisiegel, das sich an der Tür befand. Die Leute von der Spurensicherung hatten darauf geachtet, alles an seinem Platz zu belassen. Erlendur stand lange Zeit unbeweglich da und blickte sich um. Er suchte nach irgendwelchen Verpackungen für Kautabak.
    Es war ein Doppelzimmer mit zwei Betten, beide waren nicht gemacht, so als hätte Wapshott entweder in beiden geschlafen, oder es hatte noch jemand hier übernachtet. Auf einem Tisch stand ein alter Plattenspieler, der mit einem Verstärker und zwei kleinen Lautsprechern verbunden war, und auf einem anderen Tisch stand ein kleiner Fernseher mit einem

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