Engelstanz: Dunkle Verlockung Teil 3 (German Edition)
das absolut und ausschließlich ihm gegeben war. »Du beschämst mich, Galen«, brachte er endlich hervor; in den goldenen Fasern seiner Flügel fing sich das Sonnenlicht. »So viele Jahrhunderte lang kenne ich sie nun schon, und nicht ein Mal habe ich sie gefragt, ob sie andere Länder besuchen möchte.«
»Jessamy«, sagte Galen, »ist nicht der Typ Frau, der seine innersten Gedanken mit der Welt teilt.« Es war ein Geschenk, hinter diesen hauchdünnen, undurchdringlichen Schleier aus beherrschter Anmut blicken zu dürfen.
Raphael sah ihn von der Seite an. »Aber mit dir teilt sie sie?«
»Nein, aber das wird sie noch.« Galen würde nicht weichen, würde niemals seine Meinung ändern, und er würde sie nicht zurücklassen. »Illium sagt, ich hätte die Subtilität eines Bären mit einer groben Keule. Aber Bären mit Keulen schaffen Ergebnisse.«
Raphael lachte, doch seine Worte waren pragmatisch. »Du bist der Einzige, von dem Jessamy sich fliegen lässt, seit sie erwachsen ist. Aber wenn du ihre Zustimmung gewinnen kannst, können wir uns abwechseln. Wir brechen beim nächsten Morgengrauen auf.«
Als Galen sich kurz darauf von dem Balkon aus in die Luft schwang und der Wind ihm durch die Haare strich, dachte er darüber nach, was er zu Raphael gesagt hatte – über jeden Aspekt seiner Worte. Jessamy war eine Frau mit geheimen Leidenschaften und Träumen, mit verborgenen Facetten und intimen Mysterien. Er fragte sich, ob er sie jemals wirklich kennen würde. Bei der Vorstellung, für immer davon ausgeschlossen zu sein, fuhr ihm der Schmerz in seine zusammengepressten Kiefer. Aber im Unterschied zu dem, was er Raphael gegenüber erwähnt hatte, war sie kein Feind, den er mit roher Gewalt besiegen konnte. Der Feldzug, mit dem er Jessamy gewinnen konnte, musste eine subtile Angelegenheit sein.
Als er vor der Schule landete, sah er an der verschlossenen Tür, dass der Unterricht wohl schon vorüber war. Gerade wollte er sich auf den Flug zur Bibliothek machen, als ein winziges, weibliches Geschöpf mit sonnenhellem Haar in einem schiefen Sturzflug vom Himmel fiel. Er fing sie auf, damit sie nicht auf den Boden prallte, fasste sie mit beiden Händen an der Taille und hielt sie stirnrunzelnd ein Stück von sich weg. »Mit deiner Flugtechnik stimmt etwas nicht.«
Große braune Augen mit Wimpern in der gleichen hellen Farbe wie ihre Locken starrten ihn an. »Du bist groß, Jessamys Engel.«
Jessamys Engel.
Er befand, dass er mit der Invasion winziger Geschöpfe – denn inzwischen waren noch zwei weitere Engelskinder mehr schlecht als recht neben ihm gelandet – fertig werden würde, und setzte das Mädchen neben ihren Freunden ab. »Warum seid ihr hier? Die Schule ist geschlossen.«
Einer der Jungen antwortete: »Wir dürfen im Park spielen.« Mit einem Vertrauen, bei dem Galen ganz warm und eng in der Kehle wurde, schob der Junge die Hand in seine. Kinder waren eine unbekannte Spezies für ihn. Er hatte sein Leben unter Kriegern verbracht, auch als er selbst noch ein kleines Kind gewesen war.
»Spielst du mit uns?«, fragte das Mädchen und legte, um ihm in die Augen sehen zu können, den Kopf zurück … so weit, dass das Gewicht ihrer Flügel sie hintenüberpurzeln ließ.
Mit einer Hand stellte er sie wieder auf die Füße. »Nein, aber ich denke, ihr könnt alle ein wenig Flugunterricht gebrauchen.«
Und so verbrachte er Zeit, die er nicht hatte, damit, drei aufgeregte Kinder zu drillen, die ihn Jessamys Engel nannten und seine Hand hielten, wenn sie gerade nicht mit Fliegen an der Reihe waren. »Ich werde die Zufluchtsstätte verlassen«, sagte er ihnen im Anschluss, denn ohne Vorwarnung zu verschwinden, würde bedeuten, ihr Vertrauen zu missbrauchen. »Und ich werde Jessamy mitnehmen.«
Traurigkeit trübte den Glanz ihrer strahlenden Augen. Die Unterlippe des kleinen Mädchens zitterte. »Wirst du sie zurückbringen?«
Er hatte sich vor ihnen niedergekauert und nickte nun ernsthaft, denn er wusste, was er ihnen zumutete. »Ja. Aber jetzt ist für Jessamy die Zeit zum Fliegen gekommen.«
Nachdem die Kinder eingewilligt hatten, ihm Jessamy für eine Weile »auszuborgen«, ging er in die Bibliothek. Er spürte, wie das Schweigen des Lesesaals ihn einhüllen wollte. Es riss und zerrte an ihm. Hier fühlte er sich ebenso fehl am Platze, wie er es in Jessamys Bett wäre – er, der große Grobian … aber das spielte kaum eine Rolle. Denn nun sah sie von dem Buch auf, an dem sie gerade schrieb und
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