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Engpass

Engpass

Titel: Engpass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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anstatt mit ihrer alten Kiste, freut sich Elsa. Sie überlegt, einen Teil ihres Aktiendepots, das sie als Vorsorge fürs Alter angelegt hat, zu verkaufen, um den Wagen zu bezahlen.
    Als sie, in Traunstein angekommen, den Gang entlanggeht, steuert sie direkt Degenwalds Büro an. Sie schaut sich kurz um und betritt es. Sein Schreibtisch ist mit Akten und Papieren überfüllt. Elsa entdeckt seine Aktentasche unter einem Wust von Aufzeichnungen. Sie nimmt die abgegriffene Ledertasche an sich und geht damit in ihr Büro. Dort angekommen, schließt sie ab und seufzt erleichtert. Einen kurzen Moment lang zögert sie und macht sich bewusst, was sie vorhat. Dann öffnet sie die Tasche. Da ist es, Degenwalds Portemonnaie. Das hat sie gesucht.

     
    Sie wollte Psychologin werden, seit sie zum ersten Mal verliebt war und das Ganze ein schlechtes Ende nahm. Nächtelang hat sie gegrübelt, warum ihr Freund sie verlassen hatte. Warum Menschen tun, was sie tun, das begann sie zu interessieren. Warum sie spürte, was sie spürte und wie sie damit umging, das wurde ihr wichtig. Wenn du am Boden liegst, bist du auf dem Weg nach oben. Den Spruch las sie in einem Buch und er half ihr, ihren Liebeskummer zu bewältigen. Trotzdem, oder gerade deswegen, sie wollte menschliche Beweggründe studieren. So viel stand fest.

     
    Während sie sorgfältig in Degenwalds Geldbörse kramt, weiß sie, dass sie etwas finden wird. Degenwald ist kein Mensch ohne Gefühl, er nimmt Dinge wichtig, auch wenn er das ab und zu zu verbergen sucht und den Kühlen herauskehrt. Wenn er etwas mit Silke Maihauser gehabt hat, dann war das zu einer Zeit gewesen, als er noch sehr jung gewesen war. In dem Alter geht es in die Tiefe. Wenn er etwas für sie empfunden hat, dann gibt es Erinnerungen. Einen Brief, ein Foto, irgendetwas. Durch den Fund von Silkes Leiche ist, wenn Elsas Gefühl sie nicht trügt, das Ganze wieder aktuell geworden. Für Degenwald muss es wie eine unfreiwillige Reise in die Vergangenheit sein. Er muss sich den Dämonen der Jugend erneut stellen. Einer heimlichen Geschichte, von der niemand etwas wissen darf. Wenn das nicht an die Substanz geht.
    Die Psychologin in Elsa weiß, dass man Spuren der Vergangenheit mit sich trägt, es ist wie ein innerer Zwang, ganz besonders, wenn es sich um eine Liaison handelt, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit darf. Man kann nicht anders, als sich mit den Schatten vergangener Lebensmomente herumzuschlagen.
    Komm schon, Degenwald, spornt Elsa sich an. Sie geht jeden Geldschein durch, sucht im Fach, wo Kredit- und Visitenkarten aufbewahrt sind. Nichts. Elsa zieht instinktiv die Schultern hoch. Irgendwas muss existieren. Und dann hält sie es plötzlich in der Hand. Einen unscheinbaren, zusammengefalteten Zettel, dem man ansieht, dass er nicht von gestern stammt. An den Ecken ist das Papier verblichen und brüchig. Elsa zittert, als sie ihn auseinanderfaltet. Auf einem gewöhnlichen Notizblatt steht in kleiner sorgfältiger Schrift geschrieben: ›I h d l! S.‹
    Ich hab dich lieb. Silke. In Elsa jubiliert es, als sie drüben die Tür aufgehen hört.

     
    Sie wirft die Tasche und das Portemonnaie in ihre Schublade und donnert sie zu. Ein heißer Strom geht durch ihren Körper. Sie fühlt sich, als habe sie im Kaufhaus geklaut und sei dabei erwischt worden. Hastig steht sie auf und entriegelt die Tür. Kaum hat sie sich wieder hingesetzt, da lugt bereits Degenwalds Kopf aus der Verbindungstür.
    »Wo sind Sie denn so schnell hin?«
    Elsa holt ihr bestes Lächeln hervor. »Mir ist ein Gedanke gekommen und der hat mich ins Büro getrieben.«
    »Aha«, meint Degenwald nicht ganz überzeugt. »Und? Darf man an Ihren Gedanken teilhaben?«
    »Es hat mit Aurelia Bramlitz zu tun.«
    »Dacht ich’s mir doch, die Bramlitz …«
    »… oder die Maihauser«, ergänzt sie rasch und begutachtet Degenwalds Gesicht, als müsse sie ihm die kleinste Regung entlocken.
    »Ich tippe auf die Bramlitz. Das Aktuelle interessiert einen doch.«
    »Falsch«, pokert Elsa. »Eine schöne Frau wie Silke Maihauser interessiert mich natürlich besonders. Und die 20 Jahre, die zwischen Tat und Fund der Leiche liegen, machen den Fall auch nicht uninteressanter. Silke Maihauser ist mein Favorit.«
    »Meiner auch«, gibt Degenwald unumwunden zu.
    Elsa wundert sich. Kein Zucken um die Mundwinkel, aber schwitzen tut er, obwohl es heute alles andere als warm ist.
    Warte nur, denkt sie bei sich. Ich werde dir schon beikommen.

     
    Anna schwebt

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