Engpass
Dann streut sie Majoran aufs Fleisch, rührt kurz um und drückt anschließend eine Knoblauchzehe in den Topf. Als das erledigt ist, stellt sie den Dunstabzug an und verschließt den Topf mit dem Deckel.
Mit einem ausgeklügelten Plan wird sie diesem Mann neben sich beikommen. Ist die Strategie erst einmal festgelegt, wird die Person Elsa Wegener zum Selbstläufer. Dieser Umstand war es, der sie zur personifizierten Erfolgsquote gepuscht hat. Die Anzahl der aufgeklärten unter den Fällen, mit denen man sie in Köln betraut hatte, war überdurchschnittlich hoch gewesen. Es kam nicht nur auf Fleiß und geschicktes Analysieren an. Genauso wichtig waren Kampfgeist und Erfahrung. Das Entscheidende aber war stets etwas anderes gewesen. Intuition. Dieses seltsame Gefühl, das sie nicht benennen konnte. Der Gradmesser dafür, ob die Richtung der Ermittlungen stimmte. Mehr als einmal hatte man sich darüber gewundert, wie sie an Beweismittel herangekommen war. Ihre Antwort war immer dieselbe gewesen. Schweigen. Was zähle, sei, dass man etwas in Händen hielte. Das war alles, was man ihr entlocken konnte.
Egal, wie interessant ein Fall anfangs erschien, Elsa fühlte sich erst infiziert, wenn es sie richtig gepackt hatte. Irgendein Detail musste sie aus der Reserve locken. Es war immer etwas anderes, was sie Feuer fangen ließ. Bisher jedenfalls. Diesmal hat der zündende Funke gefehlt. Der Fall Silke Maihauser hat sie kaltgelassen. Nach außen hin hat sie natürlich daran gearbeitet. Aber das bedeutete nichts. Es kam darauf an, dass sich nichts in ihr drin gerührt hat. Bis ihr Verdacht auf Karl Degenwald fiel. Mit ihm als Verdächtigen beginnt die Sache interessant zu werden. So sehr, dass ihre private Situation ihr nicht länger einen Strich durch die Rechnung machen und sie ablenken kann.
Jetzt brennt sie. Noch nicht lichterloh, aber das wird schon werden. Elsa hat es auf Dr. Karl Degenwald abgesehen. Diesen seltsamen Mann, mit dem sie, von einem Tag auf den anderen, zusammenarbeiten muss. Er fungierte als Streichholz im Fall Maihauser. Er hat das Feuer entzündet. Sie braucht nur noch nachzulegen.
Elsa grinst in sich hinein. In der Küche riecht es verführerisch. Nach Italien, Sonne, Meer, Entspannung und Belanglosigkeit. Sie greift nach dem Rotwein, den sie, gemeinsam mit Hartmut, aus der Südsteiermark mitgebracht hat, und sucht den Korkenzieher.
»Seien Sie so nett und dekantieren den Wein?«, schlägt sie Degenwald vor. In ihren Augen blitzt es gefährlich. Das Tier in ihr hat Blut geleckt. Jetzt kann sie nichts mehr aufhalten. »Früher bin ich ab und zu für ein paar Tage die südsteirische Weinstraße entlanggefahren. Gamlitz, Leutschach. Sie kennen das vielleicht.«
Degenwald ist keine Reaktion anzumerken.
»Eine Rotweingegend ist es nicht gerade, aber das Weingut Lamprecht bringt einen ganz ordentlichen zustande. Vollmundig, mit einem Hauch Schokolade und Himbeere im Abgang. Zumindest schmecke ich das heraus.« Elsa schweigt einen Moment und stellt schließlich die Uhr am Herd auf 25 Minuten ein.
Sie merkt dem Mann neben sich an, dass zwar sein Körper anwesend ist, sein Geist jedoch nicht. Er ist wie eine Figur in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. Er sieht aus wie Karl Degenwald, ist es aber nicht. Er hat seinen Körper zu ihr hingeschafft. Das ist aber auch schon alles. Vermutlich ist er noch immer damit beschäftigt, ihren plötzlichen Wandel einzuordnen. Von uninteressiert-
ablehnend zu freundlich-kooperativ. Und als Draufgabe ein Abendessen der italienischen Art bei ihr zu Hause. Wenn das kein Sinneswandel ist. Er analysiert gerade, was sie dazu bewogen haben kann, ihm ein Stück Privatsphäre zuzugestehen. Egal. Sie wird den Vorteil, den sie sich verschafft hat, nutzen.
Elsa weiß, wie sie Degenwald in Sicherheit wiegen kann. Dieses Problem löst sich gerade, direkt vor ihren Augen, in Wohlgefallen auf. Wenn sie ihn erst mal auf ihrer Seite hat, wird sie seine Persönlichkeit aufrollen. Schonungslos. Sie wird ihren Kollegen ohne Schamgefühl entblättern. Jede Regung, jedes Manko, jedes schwer verdauliche Erlebnis, jede noch so kleine Verfehlung seinerseits wird ihr unter die Augen kommen. Denn er schweigt, wo es zu sprechen gilt. Er zögert, wo Handeln angesagt ist. Hinter seinem Grinsen lauert eine schweigsame Ernsthaftigkeit. Vielleicht ist es sogar Angst. Nackte Angst, entdeckt zu werden, überlegt Elsa. Als ein Gemisch aus heißem Wasser, Sugo und Fett aus den Deckelritzen spritzt,
Weitere Kostenlose Bücher