Engpass
den Bürgersteig entlang. Seit Lars sie in Bayern besucht hat, ist es um sie geschehen. Beim Gehen streicht ihre Hand sachte über den Bauch. Sie fühlt sich wie neugeboren, als wenn sie jetzt erst auf die Welt gekommen wäre. Einfach himmlisch.
Ihr Handy klingelt, als sie vor der Videothek angekommen ist.
»Lars?«, haucht Anna ins Telefon. »Ich vermisse dich ohne Ende, weißt du das?«
»Anna?«, hört Anna Lars’ männliche Stimme an ihrem Ohr.
»Red nur weiter. Es ist so schön, dir zuzuhören.«
»Anna. Hör mir mal zu.«
»Tu ich doch!«, lacht Anna ins Telefon.
»Es war echt super bei dir. Wahnsinn! Die Landschaft, die Ruhe, wenn ich’s auch nicht für immer aushalten würde.«
»Na, dann komm halt so schnell wie möglich wieder her. Wenn’s dir so gut gefallen hat.«
»Deine Mutter ist auch echt geil.«
»Ja, hätt ich ihr gar nicht zugetraut, dass sie so cool sein kann. Sie mag dich. Das ist ein gutes Zeichen.«
»Anna, es ist so … Ich … Es …«
»Was denn, Lars? Jetzt red schon.«
Anna hat die Tür zur Videothek in der Hand, zögert und bleibt noch vorm Geschäft stehen.
»Es hat keinen Sinn, das mit uns, Anna. Ich mag dich, wirklich. Aber du da unten und ich hier oben. Das kann nicht funktionieren.«
Anna schluckt und glaubt, sich verhört zu haben.
»Lars«, sagt sie nur.
»Tut mir echt leid, Anna. Ich mein’s nicht böse. Sorry, aber eigentlich will ich sowieso frei sein. Ich bin so einer, der nicht lange überlegen will, was er jetzt zu tun oder zu lassen hat. Ich steh nicht so auf ernste Sachen.«
Anna hört seine Stimme und verbindet die einzelnen Worte zu ganzen Sätzen. Sie hört immer nur ›nein, nein, nein‹.
»Wenn du mal wieder in Köln bist, meld dich, dann gehen wir was trinken, okay?«
Eine Antwort kriegt Anna gerade noch hin. Sie presst sich ein abgehacktes ›Ja‹ heraus. Danach lässt sie sich auf den Asphalt sinken und bleibt vorm Eingang der Videothek auf dem Boden sitzen. Dass die Kälte von unten ihren Körper hinaufkriecht, das kriegt sie gar nicht mit. Sie ist von einem Moment auf den anderen gestorben. Innen rührt sich nichts mehr, nur noch dieser unbändige, unstillbare Schmerz, der sie fast um den Verstand bringt.
Elsa horcht nach drüben, während sie vor ihrem Computer sitzt und nichts tut. Ihre Gehirnzellen arbeiten im Akkord. Jeden Moment wird Degenwald registrieren, dass seine Aktentasche verschwunden ist. Was dann? Sie kann ihn schlecht darüber in Kenntnis setzen, dass sie die mal eben entwendet hat, weil sie hinter ihm herspioniert. Also muss sie ihn ablenken. Sie muss ihn aus dem Büro weglotsen, ehe er ihr auf die Schliche kommt. Elsa steht auf und weiß plötzlich, was sie zu tun hat. Jetzt, wo sie Blut geleckt hat, gibt sie nicht auf. Degenwald hat etwas mit dem Fall Maihauser zu tun, sonst hätte er längst zugegeben, dass er mit Silke Maihauser ein Verhältnis hatte. Elsa wird die Flucht nach vorn antreten. Sie wird sich Zutritt zu Karl Degenwalds Leben verschaffen. Die einzige Möglichkeit, Indizien, Hinweise oder sogar Beweismittel zu ergattern. Und sie wird jetzt damit beginnen.
Kurz entschlossen betritt sie Degenwalds Büro. Sie weiß, dass sie alles in die Waagschale werfen muss, wenn sie gegen einen Mann wie ihn antreten will.
Ein aufreizendes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. Elsa spürt, wie die Spannung sich in ihr aufbaut. Sie fasst Degenwald unterm Arm. Sein fragendes Gesicht bohrt sich in ihre Augen, während er aufsteht.
»Darf ich Sie heute Abend zum Essen einladen? Spaghetti Bolognese. Wenn wir den Einkauf gemeinsam erledigen und in der Küche ein Team bilden, schaffen wir es mit dem Essen bis halb acht.«
Elsa drückt ihm seine Aktentasche in die Hand. Gerade so, als habe sie das Denken für ihn übernommen. »Die sollten Sie nicht vergessen«, meint sie beiläufig.
Degenwald hebt sachte die Augenbrauen. Mehr ist ihm nicht anzumerken, als er mit Elsa das Büro verlässt.
8. Kapitel
Mit Befremden im Gesicht steht er wenig später in Elsas Küche.
»Haben Sie zwei linke Hände oder was hält Sie vom Öffnen der Tomatendose ab?« Elsa versucht, einen lockeren Ton anzuschlagen.
Degenwald zögert einen kurzen Moment. Dann nickt er und sucht nach dem Öffner. Nachdem er ihn gefunden hat, wird er tätig. Er öffnet die Dose und stellt sie neben Elsa hin. »Einsatzbereit«, murmelt er. Sonst nichts. Ein einziges Wort ist alles, was ihm zu entlocken ist.
»Fein, danke«, merkt Elsa an. Sie lächelt.
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