Engpass
äfft sie die Mailboxstimme ihrer Freundin nach. »Du hast nicht zurückgerufen. Unter Freunden ist so was hammerstark, würd ich sagen.«
»Ich weiß, Anna. Tut mir superwahnsinnig leid. Aber ich war so was von alle. Hab voll die Grippeviren erwischt. Den Zustand kann man nur nicht zurechnungsfähig nennen.«
»Und ich war am Arsch, Beate. Du weißt, was das bedeutet. Da braucht man jemanden. Nicht irgendwann. Sofort!«
»Was ist denn passiert?«
Anna hält ihr Handy fest ans Ohr gepresst. Beates Stimme klingt belangloser als sonst, fällt ihr auf.
»Lars hat Schluss gemacht. Das ist passiert. Hat mich hängen lassen. Von einem Tag auf den anderen. Weißt du, ob da was läuft? Mit ’ner anderen?«
»Anna!« Beates Stimme ist anzuhören, dass sie sich nicht entscheiden kann zwischen Schweigen oder Sprechen.
»Sag mal, ist dein Sprachzentrum durch die Grippeviren in Mitleidenschaft gezogen? Red schon, verdammte Scheiße.« Anna hat jeden Bezug zur Realität verloren. Längst hat sie aufgehört, ihre Worte mit Bedacht zu wählen. Alles, was aus ihr herausplatzt, ist ein einziger Vorwurf.
»Das mit Lars …? Mensch, Anna.« Beate seufzt und redet dann weiter. Auch sie voller Emotionen. »Das konnte doch nicht gut gehen. Der ist eine Nummer zu groß für dich.« Beates Worte klingen wohlüberlegt, gerade so, als habe sie schon länger an dem Dialog gefeilt.
Anna will etwas entgegnen, weiß aber nicht, was, so aufgewühlt ist sie. Alles, was sie kann, ist, laut ins Handy schnauben.
Anstatt ihrer spricht Beate weiter. Jetzt mit fester Stimme. »Mach mal halblang, Anna. Ich meine ja nur, in Anbetracht der Lage, dass du da unten bist, in diesem Bayern-Kaff, und Lars hier, in the city, in Köln.«
»Hat er ’ne andere?«
»Weiß nicht.«
»Hat er?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Jetzt sag schon. Wir sind zwei Teile von einem. Deine Worte. Originalton. Wir sind Herzensfreunde, das haben wir uns mal geschworen, Beate.«
Beate atmet ins Telefon, als würde ihr die Luft ausgehen.
Anna wird es zu blöd. »Gehst du mit ihm aus, oder was ist los? Sonst redest du doch auch, wie dir der Schnabel gewachsen ist.« Anna hat einfach drauflosgeredet. Worte ausgespuckt, ohne nachzudenken. Nie hätte sie damit gerechnet, ins Schwarze zu treffen.
»Woher weißt du’s?« Beates Stimme ist plötzlich kleinlaut. Wie die eines geprügelten Kindes. »Ich war zweimal mit ihm auf der Piste. Nichts Spezielles. Was ist denn schon dabei?« Beate spricht, als müsse sie ihr Gewissen vor sich selbst reinwaschen. Nur irgendetwas sagen, das die Situation herunterspielt.
»Getroffen hast du dich mit ihm? Die Nachricht hast du wirklich mit Schallgeschwindigkeit weitergegeben. Schön, dass ich auch davon erfahre!« Anna kann es kaum glauben.
»Wir waren in einem Club. Was ist schon dabei? Rumhängen, trinken, tanzen. Du weißt, was für ein super Tänzer Lars ist.«
»Famos, eh klar.« Anna macht eine kurze Pause, dann bricht es aus ihr heraus. »Sag mal, spinnst du? Ziehst dir meinen Freund rein und sagst noch nicht mal was? So was nenn ich verschärft danebenbenommen. Gibt es keine anderen Kerle in Köln? Hast du so was nötig? Hängst dich an ihn ran und schmeißt mich aus dem Rennen. Unsere Freundschaft hat die Emissionswerte eines umgekippten Feuchtgebietes erreicht! Ich hab dich mal gekannt. Such dir jemand anderes, den du kopieren kannst. Mit mir nicht mehr!« Wutentbrannt drückt Anna Beate weg. Einen Moment zögert sie, dann pfeffert sie das Handy in die Wiese. Die Zornesröte ins Gesicht geschrieben, presst sie die Lippen derart fest aufeinander, dass sich die Rillen ihrer oberen Schneidezähne ins Fleisch meißeln. Die Wut kriecht in Anna hoch, nimmt sie wie eine Festung ein.
Als keine Wut mehr zu spüren ist, lediglich Entsetzen über den Verrat, fühlt Anna, dass sie sich dem hingibt. Hingabe ist ihre einzige Alternative. Ohne Kompromisse lässt sie all ihre negativen Gefühle zu, bis sie, völlig unerwartet, wie eine Seifenblase zerplatzen. Die Ansammlung ihres Gefühlschaos ergießt sich in sie und damit scheint es, als sei diesem emotionalen Treiben in ihr der Treibstoff ausgegangen. Anna steht stocksteif da, als sie den Impuls zu lachen verspürt. Sie kann nicht dagegen an. Wie von selbst prustet es aus ihr heraus. Ein wildes, krächzendes, lautes Lachen. Sie gibt sich auch dem hin, lacht, bis sie nicht mehr kann. Jetzt ist sie nicht mehr rot vor Wut, sondern vor Lachen. Beharrlich ergibt sie sich auch diesem
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