Engpass
heimwärts, nur eines im Sinn. Zu Hause höchstens noch einen Film anschauen. Egal, was das Fernsehprogramm zu bieten hat, sie wird es konsumieren. Nichts tun müssen ist ihre Prämisse. Sich berieseln lassen. Ausspannen.
Der nächste Tag, das weiß sie, wird ihr einiges abverlangen.
13. Kapitel
Früh um fünf steht sie auf. Während die Sonne sich noch hinter kalt glänzenden Berggipfeln darauf vorbereitet aufzugehen, schwebt graublauer Dunst träge über den Wiesen. Die Luft draußen ist angenehm frisch. Elsa steht auf dem Balkon und atmet sie genüsslich tief ein und aus. Heute wird der erste heiße Tag werden. Optimale Voraussetzungen für ihre Bergtour. Nichts kann sie davon abhalten, den Taubensee zu erobern.
Sie hat Degenwald eine kurze Notiz auf den Schreibtisch gelegt, nachdem er, tags zuvor, noch einmal weggegangen war.
Leider habe sie morgen den ganzen Tag über außer Haus zu tun. Keinen Gruß, nichts. Der Informationspflicht hatte sie damit Genüge getan. Es reicht, hatte Elsa sich gesagt. Sie ist nicht bereit, ihre Pläne schon vorab, zur Gänze, preiszugeben. Nicht, bevor sie weiß, ob es oben, am Taubensee, in der Hütte von Birgit Leiners Eltern, etwas Entscheidendes zu holen gibt.
Ihren Wagen stellt Elsa beim Verkehrsamt in Schleching ab. Entschlossen, den Weg in kürzester Zeit zu schaffen, bricht sie auf. Die neuen Bergschuhe an den Füßen, außerdem einen Rucksack mit zwei Wasserflaschen, Zwieback, Obst, einer Tafel Schokolade, Taschentüchern, Pflaster und ihrem Mobiltelefon dabei, fühlt sie sich perfekt ausgerüstet. Vor dem Sportplatz zweigt sie ab und nimmt den ausgeschriebenen Feldweg Richtung Wagrain. Später biegt sie vor dem Zollamt zum Achberg ab. Mit weit ausholenden Schritten testet sie die Bequemlichkeit des neuen Schuhwerks und ihre Kondition. Zufrieden mit dem Kauf und mit sich, wird Elsa mutiger. Den Sonnenhut, den sie aufgesetzt hat, nimmt sie dann und wann vom Kopf, wedelt sich Luft damit zu und beginnt, das Ganze zu genießen. Was spricht dagegen, diesen Teil der Arbeit als Freizeit anzusehen? Eine Bergtour bei herrlichstem Spätsommerwetter. Dafür gäbe manch einer einen Urlaubstag.
War doch nicht so schlecht, nach Bayern zu ziehen, ist sie mit einem Mal sicher. Die Landschaft, die saubere Luft, die Ruhe der Bergwelt. Alles zusammen ein einziger Traum. Nach einer Stunde des Gehens macht sie Pause, cremt sich mit Sonnenschutz ein und trinkt eine halbe Flasche stilles Wasser. Obwohl es noch früh ist, spürt Elsa bereits das Aufkommen der beginnenden Hitzewelle. Wie ein Dunstschleier drängt sich eine zweite Luftschicht unter den ansonsten klaren blauen Himmel. Regelrecht wattiert sieht alles aus. Elsa blickt gen Himmel, lässt ihre Augen tanzen. Ein Seidenschleier, der den plötzlichen Sommer ausmacht. Das ist es, was sie wahrnimmt. Doch mit ihm kommen ungebetene Gäste. Es braucht nicht lange, bis ihr das klar ist. Elsa kommt kaum mit, so oft muss sie sich stechendes Getier vom Körper schlagen. Besonders die Bremsen scheinen es auf sie abgesehen zu haben. Die unscheinbar grauen Körper beißen sich in ihre Beine, Arme und den Nacken. Sie suchen die unmöglichsten Stellen, lechzen nach ihrem Schweiß und Blut und hinterlassen juckende rote Fleischwülste. Elsa gibt Speichel darauf und redet sich ein, dass das Jucken halb so wild ist. Es gelingt nur teilweise. Bald kratzt sie sich doch und flucht und lacht dann, weil sie sich so schnell aus der Ruhe bringen lässt. Und das an einem Bilderbuchtag.
Sie folgt der Forststraße, biegt schließlich Richtung Streichen ab und gelangt zur Heider-Alm. Eine Rast kommt nicht infrage, stellt Elsa sich selbst harte Bedingungen. Sie wandert weiter, bis sie die Chiemhauser-Alm vor sich liegen sieht und die Tafel Schokolade dran glauben muss. Mit großem Appetit isst sie, trinkt erneut, genehmigt sich noch zwei Stücke Zwieback und wandert gestärkt weiter. Sie ignoriert schweren Herzens die Streichenkirche und das besagte Kunstkleinod aus dem 14. Jahrhundert, denn langsam packt sie die Neugier. Ihre Gedanken, die zuvor noch zu schlafen schienen, höchstens träge dahinwanderten, ihrem Blick gleich, melden sich zurück. Mit aller Vehemenz. Könnte Birgit Leiner etwas mit dem Mord an Silke Maihauser zu tun haben? Wenn nicht als Handelnde, dann doch als Nebenfigur, als Mitschuldige? Elsa hat den kleinen Gebirgssattel im Blick. Das Panorama ist verheißungsvoll. Sie genießt einen kurzen Rundumblick, schnauft, prüft, ob ihr
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