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Engpass

Engpass

Titel: Engpass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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offenbar ein sündhaft teures Stück. Wie geriet ein Möbel wie dieses in ein halb verwildertes billiges Sammelsurium? Nebenan befindet sich ein weiterer, ebenso kleiner Raum. Offenbar besteht der Grundriss der Hütte aus einem Raum, der in zwei gleich große Hälften geteilt worden ist. Auch hier, in Birgit Leiners Schlafstätte, herrscht verwahrloste Überfüllung. Ein einfaches Bett. Das karierte, offenbar benutzte Bettzeug aufgezogen. Am Fußende eine zusammengelegte Polyesterdecke. Neben dem Bett ein kleiner Tisch, mit Wasserflecken übersät. Auch in diesem Zimmer findet Elsa eine Unmenge von Büchern, vor allem Liebesromane, aber auch Krimis und Horrorgeschichten. Dazu, um das Potpourri komplett zu machen, heillos veraltete Tageszeitungen, auch einige neueren Datums, wie Elsa überrascht registriert. Beim achtlosen Aufheben stößt sie auf eine erst wenige Tage alte Ausgabe der bekanntesten bayerischen Gazette, die, auf der Titelseite, vom Fund von Silke Maihausers Leiche berichtet. Überrascht hält sie das von Glasrändern übersäte Papier in der Hand. Einige Sekunden lang lässt sie ihre Gedanken hierhin und dorthin schweifen, darauf fokussiert, den Grund des Fundes zu eruieren. Dann legt sie die Zeitung zurück. Draußen, das hat sie bereits überprüft, gibt es ein Plumpsklo, das von Fliegenschwärmen bevölkert ist. Ein sicheres Zeichen, dass vor nicht allzu langer Zeit jemand hier gewesen sein musste. Und das nicht nur für wenige Augenblicke. Ansonsten gibt es nur unberührte Natur zu entdecken, die sich aufspaltet in die Vögel am Himmel über einem und das Leben hinter den Bäumen, Sträuchern, Wiesen und Felsen. Elsa verliert keine Zeit und geht vom interessierten Hin- und Hersehen an die Arbeit. Eine, die ihr höchstes Vergnügen bereiten wird. Da ist sie sich schon jetzt sicher.

     
    Die Sekunden, Minuten, ja sogar die Stunden vergehen mit doppelter Geschwindigkeit. Elsa scheint sie verloren zu haben. Ohne sich dessen gewahr zu sein, ist sie in Birgit Leiners Welt eingetaucht, wie sie zuvor durch den Taubensee geschwommen ist. Ohne langes Überlegen, ohne Zögern. Von ihr ist nichts mehr zu entdecken. Sie hat sich in ein Double der Person verwandelt, der ihr berufliches Interesse gilt. Mit Haut und Haaren, wie Elsa seit jeher arbeitet, geht sie auch hier vor. Derart intensiv, dass alles, was mit der wirklichen Welt draußen und ihrer tatsächlichen Person zu tun hat, verschwimmt. Folglich auch die Zeit. Draußen hat die Sonne ihren Höchststand erreicht und wieder verloren, wie Elsa sich selbst. Jetzt befindet sich die gelbe Kugel in einer Abwärtsbewegung, den Berggipfeln, dem Hügelland folgend. Die Nachmittagsstunden sind längst eingeläutet. Der Abend kündigt sich an. Die Luft verliert ihre drückende Schwüle und ist endlich angenehm warm. Einige Touristen sind angeschwärmt wie die Mücken. Sie haben sich des Taubensees bedient, um ihn schneller, als ihnen lieb ist – denn auch sie leiden unter den Bremsen – wieder zu verlassen. Von all dem bekommt Elsa nur am Rande mit. Sie vergräbt sich in die Menge von Zeitungen und Fotos, durchsucht jedes einzelne Möbel sorgsam, durchwühlt die Wäsche. Die Fotos geben zuerst nicht viel her. Birgit Leiner und ihre Eltern, in allen erdenklichen Posen festgehalten. Bei diversen Feiern. Beim Wandern. Beim Sitzen auf einer Couch. Vor der Hütte, in der Elsa sich aufhält. Sie erkennt die Bergkulisse. Beim stillen Lächeln wandelt sich das Gesicht der beiden Alten, beim Grimassenschneiden erneut, sicher zu Birgits Freude.
    Dazu Fotomengen von Hasso, dem Schäferhund. Ihn gibt es derart oft zu sehen, dass Elsa sich ihren Teil denkt. Obsession ist das Wort, das ihr dazu einfällt. Doch dann, in einem Schrank versteckt, Fotos von Fred Maihauser. Wie er vorm Fernseher sitzt. Im Garten, auf der Terrasse, am Hauseingang, vor der Mülltonne, auf der Toilette sitzend. Elsa schreckt innerlich zurück. Fred Maihauser, der auf der Toilette sitzt? Kein Irrtum! Er ist es. Was hat Birgit Leiner nur diesen Schnappschuss in die Hände gespielt? Dass sie heimlich ihren Chef fotografiert haben könnte, verwirft Elsa zuerst. Doch dann schwört sie diesem Gedanken ab. Schon eine ganze Weile dämmert es ihr. Birgits Obsessionen wachsen vor ihren Augen an, vermehren sich wie Ableger wuchernder Pflanzen, die sie früher, gemeinsam mit ihren Klassenkameraden, in der Schule gezogen hatte. Offenbar gibt es drei Themen in Birgits ansonsten unspektakulärem Leben. Ihre

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