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Engpass

Engpass

Titel: Engpass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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Mobiltelefon irgendwelche Nachrichten für sie hat – ohne Ergebnis – und geht weiter. Der Kroatensteig, den sie forsch hinter sich lässt, auch wenn sie ein erstes Brennen in den Fersen spürt, lässt bald den Taubensee in Erscheinung treten. Erneut bleibt Elsa stehen. Ein entzückter Schrei entkommt ihr, so fasziniert ist sie von dem tiefgrünen Wasser, das still und erhaben vor ihr liegt. Von Touristen keine Spur. Zu früh, vermutet Elsa. Sie ist froh, zu nachtschlafender Zeit aufgebrochen zu sein, mobilisiert ihre letzten Kräfte und hastet ans Ufer des Sees. Schuhe, Socken, Hose, Hut, T-Shirt, all das legt sie in Windeseile ab. Ein Hüpfer und sie ist im Wasser. Prickelnd umschließt sie das Nass. Sie muss erschrocken ausatmen, so kalt ist es auf der Haut. Trotzdem genießt sie die Erfrischung. Das Jucken der Bremsenstiche lässt nach. Elsa macht einige Züge, dreht um, blickt direkt in die Sonne und kommt aus dem Wasser. Von Krebsen hat sie nichts bemerkt. Die sind ihr plötzlich wieder eingefallen. Einen Moment setzt sie sich auf einen Stein, lässt sich an der Luft trocknen und zieht sich schließlich wieder an.
    Jetzt ist sie bereit, nach der Hütte von Birgit Leiners Eltern Ausschau zu halten. Sie hat am Abend zuvor ein weiteres Mal mit Ben telefoniert. Auf ihre Bitte hin hat er ihr den Weg genauestens beschrieben. Mit seinem Wissen ausgestattet, kann nichts schiefgehen, ist Elsa sich sicher. Erneut bricht sie auf. Eine Weile geht sie barfuß, froh, ihren Fußsohlen watteweiche Flechten, Moos und Gras bieten zu können. Seit langer Zeit fühlt sie sich wieder unbeschwert. Hartmut und alles, was mit ihm zu tun hat, ist weit weg. Die bevorstehende Scheidung kommt ihr plötzlich wie das Ereignis guter Freunde vor, nicht das ihre. Sie fühlt, dass sie das schaffen kann. Distanz hat sich eingeschlichen. Elsa freut sich, als sie es bemerkt. Sie wird ihrem ungewollten Neubeginn irgendwann, vielleicht sogar schon bald, nicht mehr mit Trotz, sondern mit Gelassenheit und Zustimmung begegnen. Und Anna? Der muss sie Zeit geben. Man kann den Ausspruch als blöden Satz abtun, aber er stimmt trotzdem. Mit Zeit im Gepäck bekommt man alles hin.

     
    Die Hütte, die auf der österreichischen Seite liegt, ist schnell gefunden. Bens telefonisch übermittelte Landkarte leistet, vor Ort, perfekte Dienste. Das verwitterte kleine Haus wirkt wenig einladend. Elsa steht davor und schaut auf geschlossene Fensterläden und ein mit Holzschindeln gedecktes Dach, von denen einige durch den Sturm der vergangenen Tage oder ein Unwetter zuvor arg in Mitleidenschaft gezogen oder ganz verschwunden sind. Die Eingangstür, die von der Sonne ausgeblichen ist, lädt eher dazu ein umzukehren. Früher habe der Schlüssel immer hinterm Haus gelegen, unter einem Stapel Brennholz, hatte Ben ihr versichert. Elsa geht dem nach und sieht sich hinter der Hütte um. Sie entdeckt das Fichtenholz und beginnt, den Turm abzutragen, der an der Hauswand lehnt. Es dauert eine Weile, bis sie das passende Holzstück findet, unter dem der Schlüssel auf sie wartet. Zufrieden ergreift sie ihn, schichtet das Holz halbherzig aufeinander und macht sich an der Vordertür zu schaffen. Im Handumdrehen ist sie in der Hütte, öffnet die Fensterläden, um Tageslicht hereinzulassen und die abgestandene Luft durch frische auszutauschen. Im Sonnenlicht sieht der Raum gleich viel freundlicher aus. Elsa schaut sich um. Was sie sieht, macht sie augenblicklich sprachlos. Bücher, alte Hefte und Zeitschriften, vergilbte oder achtlos weggelegte Fotos, angeschlagenes Steingut, gebrauchtes Geschirr, billige furnierte Regale, ein runder Tisch mit Stühlen drum herum. Alles dicht an dicht gestellt, geräumt, geschlichtet. Der höchstens zehn Quadratmeter große Raum ist überfüllt, scheint aus allen Nähten zu platzen. In einer Ecke stehen ein Ofen und eine Mini-Kochnische. In einer anderen ein mächtiger Ohrensessel aus braunem, halb zerschlissenem Leder. Elsa vermutet Pfoten und Zähne, nämlich das Temperament von Birgits Hund als Übeltäter. Der Sessel ist das Erste, was einem ins Auge springt, wenn der Raum sich vor einem auftut, stellt Elsa fest. Er nimmt ihn nicht nur ein, er scheint gar nicht in ihn hineinzupassen. Das Stück erschlägt das Zimmer, scheint es zu sprengen. Bei näherem Hinsehen entdeckt Elsa an der Seite, wo das genagelte Leder und das Eichenholz ineinander übergehen, das dezent angebrachte Logo eines Nobel-Möbelherstellers. Der Sessel ist

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