Engpass
Eheturbulenzen.«
»Weiß nicht. Geht mich nichts an.«
»Find ich schon«, entgegnet Anna unwirsch. »Wenn die beiden Zoff haben, bist du genauso dran.«
»Vielleicht will ich mich mit so was nicht auseinandersetzen.«
»Den Kopf in den Sand stecken?« Anna tippt sich mit dem Finger an die Stirn.
»Dabei geht einem schnell die Luft aus. Glaub mir! Ich spreche aus Erfahrung.«
Degenwald, der durch die offen stehende Terrassentür hineingekommen ist, ohne dass ihn jemand bemerkt hätte, steht vor dem Holzblock, in dem jedes Messer seinen angestammten Platz einnimmt. Einschließlich des Exemplars, das zum Schutz in durchsichtiger Folie steckt und das er mitgebracht hatte.
»Also doch«, murmelt er und zieht die Tatwaffe aus dem schmalen Schlitz. Er lehnt sich an die Granitarbeitsfläche der geräumigen Küche und starrt auf die Waffe, die noch vor wenigen Tagen im Körper von Aurelia Bramlitz gesteckt hatte.
Wie die Dinge stehen, muss er jedes Mitglied des Maihauser-Clans befragen. Einer von ihnen hatte dieses Messer zweckentfremdet. Und zwar so, dass eine Frau zu Schaden gekommen und hinterher ermordet worden war. Zumindest, wenn man davon ausging, dass es niemanden gab, der sich das Messer ausgeborgt hatte, um von sich abzulenken und die Tat einem Maihauser anzuhängen. »Ziemlich unwahrscheinliche Möglichkeit«, murmelt Degenwald vor sich hin.
Der Himmel bricht eine zartblaue Schneise in die geschlossene Wolkendecke. Elsa, die fast die ganze Nacht durchgearbeitet hat und auf die vielbesprochene Jausenplatte verzichten musste, kommt ins Erdgeschoss. Sie öffnet die Terrassentür ihres Hauses, die zum Garten hinausgeht, und lässt den Morgen hinein. Obwohl sie fast nicht geschlafen hat, ist sie kein bisschen müde.
Angespannt, aufgedreht, zum entscheidenden Sprung bereit, diagnostiziert sie ihren Zustand.
Spät, weit nach Mitternacht, war sie mit Anna nach Hause gefahren. Als ihre Tochter dann eingeschlafen war, hatte sie, auf der Couch im Wohnzimmer, ein letztes Mal mit Degenwald telefoniert. Keinen Kilometer Luftlinie voneinander entfernt, hatten sie auf ihre Mobiltelefone vertraut und alle wichtigen Fakten, Verhörprotokolle und Hinweise analysiert.
»Bei Fred Maihauser bin ich nicht wirklich weitergekommen«, hat Elsa zugeben müssen. Natürlich hatte sie erfahren, dass er seit Jahren ein diskret kaschiertes Doppelleben mit Anong, wie er sie nannte, pflegte. Eines, von dem Götz Bramlitz, der ebenso beschäftigt war wie Maihauser selbst, nichts mitbekommen hatte.
»Für mich war das anfangs so, als ahme ich die vergangenen Sex-Sünden meiner ersten Frau nach«, hatte Maihauser eingestanden. Bei all dem hatte er versucht, standhaft zu bleiben. Frei, zumindest von äußerlich sichtbarer Schuld. Deshalb hatte er sich vorgenommen, seine Frau Hanne nie zu verlassen. Dieses Versprechen hatte er sich selbst abgenommen und bisher auch eingehalten.
»Was haben Sie bei Anong Bramlitz gesucht, Herr Maihauser? Doch nicht etwa scheue Unterwerfung? Wie man es von Asiatinnen meist erhofft.«
Es sei ihm weder um Sex, noch um ein Wechselspiel der Kräfte gegangen. Nur um Zuneigung, Verständnis, Wärme. All das habe er bei Anong, die ein außergewöhnlicher Charakter gewesen sei, gefunden.
»Sie hat ihren zurückhaltenden Stolz wie Schmuck getragen. Unauffällig, nie nach außen zur Schau gestellt. Dabei aber mit Würde«, schwärmte Fred Maihauser. »Vielleicht hatte es mit ihrer Herkunft, ihrer Geschichte zu tun.«
Ursprünglich bei armen Bauern aufgewachsen, hatte sie in Vietnam ein Leben in Bescheidenheit und Kargheit kennengelernt. Später habe sie eine Schulbildung genießen dürfen, weil der reiche Gönner ihrer älteren Schwester das möglich gemacht hatte. Sie war nach New York gegangen, hatte hart gearbeitet, um der Armut zu entfliehen und es zu etwas zu bringen. Ein amerikanischer Börsenmakler hatte sich um sie gekümmert. In vielerlei Hinsicht. Sie sei ihm zu Dankbarkeit verpflichtet gewesen, hatte ihn aber verlassen, als sie Götz begegnet war, in den sie sich verliebt hatte.
Er war ihre Eintrittskarte nach Europa, nach Bayern. Sie hatte eine große Welt gegen eine kleine eingetauscht und dasselbe vorgefunden, was sie verlassen hatte. Beliebigkeit, Austauschbarkeit.
»Mir gegenüber war sie zugänglich, weich, liebevoll, ohne dabei fordernd zu sein«, hatte Maihauser sich erinnert. »Sie wusste, dass sie sie selbst sein konnte. Für mich war sie eine Königin, mein Ein und
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