Engpass
Alles.«
»Eine sehr liebevolle Umschreibung, aber auch eine hoffnungslose Geschichte, die Sie mir da erzählen«, hatte Elsa ihm zugestanden. Sie war fast gerührt, einen völlig neuen Blick auf Maihausers Seele werfen zu können.
»Sie berichten von den schönen Seiten, vom Licht, Herr Maihauser. Wo ist der Schatten? Die Dunkelheit, die in den Ecken einer solchen Beziehung lauert? Wie hat Ihre Frau darauf reagiert?«, hatte sie wissen wollen.
»Wer nichts weiß, kann nicht reagieren. Anong und ich, wir haben uns selten getroffen. Alle zwei Monate höchstens. Wir wollten das Risiko, entdeckt zu werden, minimieren. Unsere Orte waren Reit im Winkl, manchmal auch Rosenheim, Bad Reichenhall, Bad Tölz, München. Wir haben immer einen Weg zueinander gefunden. Immer in anderen Hotels, immer in getrennten Zimmern, nur für wenige Stunden. Das war unser Abkommen.«
»Viel Aufwand. Aber das Risiko bleibt trotzdem. War es das wert?«
»Jede einzelne Sekunde«, hatte der Baumeister gestanden und dabei beschämt zu Boden geblickt.
»Wenn das so ist, muss der Tod von Frau Bramlitz Sie tief treffen. Erneut verlieren Sie die Frau, die Sie lieben. Welch grausames Schicksal!«
Maihauser war sichtlich darum bemüht, einen kühlen Kopf zu bewahren. »Ich habe das schon einmal überstanden. Das stimmt. Aber ich habe durch das, was mir widerfahren ist, gelernt. Man muss dem Leben früher oder später etwas zurückgeben. Jeder einzelne von uns. Ich habe meinen Stolz geopfert und Demut erhalten. Daran wird sich nichts ändern. Auch durch den Tod von Anong nicht.«
»Ich werde mit Ihrer Frau sprechen. Sie wissen, dass Ihre Affäre mit Frau Bramlitz kein Geheimnis bleiben wird.«
»Freilich, tun Sie’s nur. Finden Sie den Mörder. Für mich ändert sich dadurch nichts. Ich habe kein Interesse mehr daran, Rache zu üben oder etwas zu sühnen. Diesen Hass habe ich in der Beziehung mit Silke aufgebraucht. Es ist nichts davon übrig.« Maihauser hatte Elsa scharf angeblickt. Sie hatte ihm geglaubt.
»Wenn ich’s nicht anders kennen würde, müsste ich Fred Kaltschnäuzigkeit vorwerfen«, hatte Degenwald daraufhin durchs Telefon entgegnet.
»Er hat sich zwei Tabletten eingeworfen, während ich mit ihm sprach.«
»Vielleicht Beruhigungsmittel?«, überlegte Degenwald laut.
»Als ich ihn danach gefragt habe, ist er mir die Antwort schuldig geblieben. Das sei privat, stellte er fest. Mir war gleich klar, dass da nichts zu machen ist. Vielleicht sollten wir Kontakt mit seinem Hausarzt aufnehmen?«
Das war das Letzte, was Elsa mit ihrem Kollegen besprochen hatte. Danach hatte sie sich der Müdigkeit ergeben und war ins Bett gefallen.
Eine Meise fliegt auf die Terrasse. Ein vergnügtes Zwitschern und sie macht sich wieder davon. Elsa schließt die Terrassentür und geht in die Küche. Sie öffnet den Kühlschrank, lässt den Blick durch die Regale wandern und trifft eine Entscheidung. Mit einem Joghurtbecher in der Hand geht sie in den Flur. Sie reißt die Verschlussfolie ab, steckt den Finger in den Joghurt und leckt die säuerliche Flüssigkeit ab. Als sie in den zweiten Stock hinaufgeht, hört sie, dass Anna unter der Dusche steht.
Später, bei einem ausgiebigen Frühstück mit gekochten Eiern und getoastetem Brot, bittet sie ihre Tochter, Dino nicht mehr zu Hause zu besuchen.
»Ihr könnt euch hier bei uns treffen.«
»Was soll der Unsinn, Mama? Willst du mich überwachen?«
»Es ist besser so, Anna. Glaub mir.«
»Wieso? Liefere mir einen einzigen plausiblen Grund, mich zu Hause zu bunkern.«
»Dinos Familie ist in einen Mordfall verwickelt. Wenn man’s genau nimmt, sogar in zwei. Mehr kann, mehr darf ich dir nicht sagen.«
»Heilige Scheiße! Hat sein Vater was damit zu tun? Sein Stiefvater, meine ich?«
Elsa zuckt mit den Achseln. »Das müssen wir erst herausfinden. Wir stecken mittendrin.« Elsa zögert, darum bemüht, Verständnis zu signalisieren. »Tu mir den Gefallen und triff dich woanders mit ihm. So lange, bis die Sache geklärt ist.«
»Sonst?« Anna spricht mit unvermuteter Durchsetzungskraft.
»Nichts sonst.« Elsa schmiert sich Kirschmarmelade aufs Brot und blickt dabei zu ihrer Tochter auf.
»Ich will dir nichts verbieten. Nur was erklären.«
Als Elsa das Haus verlässt, meldet sich ihr Mobiltelefon.
»Danke, dass Sie sich gestern der Hundeleiche angenommen haben. Eigentlich ist das ja nicht Ihr Gebiet«, begrüßt Elsa den Gerichtsmediziner.
»Und auch nicht unbedingt meine Aufgabe, ich
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