Entbrannt
»V erzeih mir«, waren seine letzten Worte.
»I ch verzeihe dir«, schluchzte ich, während ich mich verzweifelt an ihm festklammerte. »I ch verzeihe dir.«
Es war zu spät.
Alles. War. Zu. Spät.
Kapitel Siebenunddreissig
»E ngel, mein kleiner Engel… Ich bin klein, dumachst mich groß, ich bin schwach, du machst mich stark…«
Orthodoxes Kindergebet
Die Doppeltür des Ballsaals explodierte zu einer Masse aus fliegenden Trümmern und Rauch, schwarz gekleidete, mit Grigori-Klingen bewaffnete Soldaten stürmten die Halle, wo sie auf eine Schar Verbannter stießen, die sie schon erwartet hatten.
Ich starrte weiterhin Phoenix’ reglosen Körper an.
Warum ist er nicht verschwunden?
Nach einer Weile wurde mir klar, dass es daran lag, dass er halb menschlich war. Anders als bei anderen Verbannten war das sein wahrer Körper. Vielleicht hatte es deshalb auch länger gedauert, bis er starb.
Sekunden nach seinem letzten Atemzug kehrten all die Gefühle, vor denen er mich bewahrt hatte, in mich zurück. Es brauchte meine ganze Kraft, diesen Ansturm auszuhalten, aber ich konnte mich dem jetzt noch nicht beugen.
Ich weinte, als ich zu meinen Schwertern hinüber kroch, die noch dort lagen, wo Lilith sie hatte fallen lassen. Während ich mich aufrappelte, sah ich zwei Verbannte auf mich zukommen.
Wie aus dem Nichts tauchte Spence auf, sprang vor mich und zog die Aufmerksamkeit der Verbannten auf sich. Während er sich um sie kümmerte, schob ich noch einmal meine Kraft nach außen, um so viele Verbannte wie möglich festzuhalten, denn noch mehr Grigori stürzten sich in den Kampf.
Ich schürfte tief in meiner Kraft und fand etwas Neues darin. Es war ein Teil von Phoenix, der zusammen mit seiner Essenz zu mir gekommen war. Während der Rest von mir von meiner Seelenpein dominiert wurde, die mit Eiseskälte brannte, war in diesem neuen Teil von mir… nichts.
Ich ging in meinen Gedanken durch einen langen dunklen Korridor und suchte nach seiner Bedeutung. Als ich das Ende erreichte, dämmerte Erkenntnis in mir. Phoenix hatte die Fähigkeiten eines Empathen und konnte Gefühle sowohl geben als auch nehmen, doch als er seine Essenz an mich weitergab, hatte sich diese Fähigkeit verändert.
Ich konnte weder die Gefühle anderer empfinden, noch sie weitergeben.
Stattdessen konnte ich alles– jedes Gefühl– wegschließen. Als würde man einfach einen Schalter umlegen.
Und das tat ich.
Alles schmolz dahin.
Rasch breitete sich Taubheit in mir aus. Ich konnte klarer denken, mich besser bewegen. Der Schmerz in meiner Seele war immer noch da, lauerte, aber er griff mich nicht mehr an. Ich war… nichts.
Ich bewegte mich wieder, behielt so viele Verbannte wie möglich im Griff, selbst als ich mich von ihnen entfernte und auf den Keller zuging.
Das wird nicht alles umsonst gewesen sein.
Ich war schwach. Ich strauchelte und verlor die Kontrolle über die Verbannten.
Die Grigori werden sich jetzt um sie kümmern müssen.
Ich blickte zurück zu Spence. Er war mitten auf dem Schlachtfeld.
»S pence!«, brüllte ich.
Er drehte sich um. Ich musste ein schlimmer Anblick gewesen sein– blutbesudelt, ohne jegliche Gefühle.
Er brüllte zurück, obwohl er gerade zwei Verbannte abwehrte, die auf ihn zukamen. Einen von ihnen warf er zu Boden, und als ein weiterer Grigori einsprang, um ihm den anderen abzunehmen, rannte Spence auf mich zu. Dabei zog er etwas aus seinem Hosenbund und hielt es hoch.
Er hatte es geschafft.
Er hatte die Grigori-Schrift.
Ich hob die Hand. »N ein! Hol Lincoln!«
Spence kam schlitternd zum Stehen. Er war jetzt in der Nähe von Phoenix und ich sah, dass er dessen leblosen Körper bemerkte. Spence’ Blick wanderte rasch zu Lincoln, der noch immer am Sofa angekettet war und regungslos dalag.
Er schüttelte den Kopf. »I ch komme und helfe dir!«
»N ein, Spence! Versprich mir, dass du ihn da rausholst! Schwöre es!«, schrie ich.
Spence’ Blick huschte zwischen Lincoln und mir hin und her. »I ch werde ihn rausholen!«, brüllte er zurück. »D as verspreche ich, Vi. Ich werde ihn rausholen.«
Er sah mir in die Augen. Spence würde halten, was er versprach.
Während ein richtiger Krieg um mich herum losbrach, wandte ich mich wieder dem Keller zu. Ich umklammerte meine Schwerter und hieb nach Verbannten, die sich mir in den Weg stellten, ohne dabei stehen zu bleiben.
Ich fiel in den Türrahmen und griff danach, um mich festzuhalten. Bevor ich mich wieder vollständig aufgerichtet
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