Entfernung.
Bei manchen Häusern die Ziegel durch Glas ersetzt und in die Räume zu sehen. Menschen beim Essen. Fernsehen. Trinkend. Vor den Häusern Tische aufgestellt. Fenster und Türen offen standen. Blumen. Blühende Geranien in Blumenkisten. In Töpfen die Hausmauern entlang. Sie wüsste nicht, wo sie wäre, sagte sie. Im Augenblick rumple sie in einem Taxi durch eine mittelalterliche Straße. Für sie sähe das nicht so aus, als käme sie dahin, wohin sie wolle. Das Taxi blieb stehen. Die Straße zu Ende. Eine Feuerwehrausfahrt vorne. Sie konnte rot gestrichene Tore sehen. Und »Fire brigade« in weißen Buchstaben quer auf die Tore geschrieben. Sie wäre also beschäftigt, sagte Tommi. Dann wäre es vielleicht am besten, man telefoniere später noch einmal. Selma lag quer über den Sitz nach rechts. Auch da war keine Straßentafel. Aber die Gebäude rechts und links so knapp. Man konnte gar nicht aussteigen. Das Taxi steckte in der Straße. Was das bedeute, fragte sie durch die Scheibe. Der Fahrer saß da. Er schaute nach vorne. Reagierte nicht. Selma rutschte nach links. Wollte die Tür aufmachen. Die Tür war verschlossen. Sie zerrte an dem Griff. Der Türgriff bewegte sich, die Autotür sprang aber nicht auf. Sie wandte sich an Tommi. Sie wäre da in einer seltsamen Situation, sagte sie. Der Taxifahrer habe sie in diesem Taxi eingeschlossen. Sie könne die Tür nicht öffnen und der Mann spräche nicht mit ihr. Ach, antwortete ihr Cousin. Das wäre sicher ein Missverständnis. Wahrscheinlich habe er die Adresse nicht richtig verstanden. Sie solle einfach zahlen und gehen. Es mache keinen Sinn, sich mit einem Londoner Taxifahrer in einen Streit zu begeben. Sie müsse jetzt Schluss machen, sagte Selma. Sie müsse sich mit ihrer Situation beschäftigen. Sie legte auf. Sie drückte auf den Aus-Knopf. Warum half er ihr nicht. Ihr war nicht zum Lachen zumute. Dieser Mann hatte gelacht. Er hatte ihre Probleme. Er hatte sie nicht ernst genommen. Warum wollte er sie überhaupt wieder sehen. Was sollte das bringen. Er hatte nicht einmal wissen wollen, wo sie steckte. Sie wolle jetzt hinaus, sagte sie. Laut. Sie sprach vor sich hin. »What do I have to pay.« Der Mann vorne saß ruhig da. In der engen Gasse war es fast dunkel. Die roten Tore vor ihnen im Licht der Scheinwerfer. Sie warfen einen roten Schein auf den Fahrer zurück. Die Armaturenbeleuchtung war blau. Selma wurde wütend. Das war alles lächerlich. Sie überlegte, wie sie auf sich aufmerksam machen konnte. Jetzt wäre es besser gewesen, solche Sandalen anzuhaben wie die blonde Frau. Da hätte sie mit den Absätzen gegen die Scheibe hämmern können. Mit den weichen Prada-Schuhen. Mit denen war kein Lärm zu machen. »This is ridiculous.« sagte sie und begann an der Türschnalle zu reißen. Der Fahrer riss die Scheibe zwischen Fahrer und Fahrgastraum auf. Sie habe nicht »please« gesagt. Er zischte sie an. Sie habe nicht bitte gesagt und er habe genug. Nach einem langen Tag von Menschen, die nicht bitte gesagt hätten, da hätte er auch genug. Nicht bitte und nicht danke. Sie solle zahlen. 19 Pfund, und dann wolle er nichts mehr von ihr sehen. Das ist wie in Prag, dachte Selma. In Prag. Mitte der 90er Jahre. Da war man so behandelt worden. Da hatten sie einen irgendwohin gefahren und einem alles Geld abgeknöpft. Und in Lissabon. Sie sah das Paar vor sich. Die waren im Bus. Die waren mit dem Bus zum Flughafen gefahren und im Bus hatte ihnen der Fahrer und zwei Komplizen das Geld abgenommen. Das Bargeld und die Kreditkarten. Sollte sie sich wehren. Sollte sie Hilfe holen. Die Polizei. Mit dem handy. Aber so viel verlangte der Mann nicht. Er konnte sagen, er habe ihr schlechtes Englisch nicht verstanden. Das wäre die Adresse, die er verstanden hatte. Sie verrenkte den Kopf, vielleicht doch einen Namen zu lesen. Dann holte sie das Geld aus der Tasche. Sie suchte das Geld heraus. Sie schob es durch den Schlitz unter der Trennscheibe. Sie ignorierte die ausgestreckte Hand des Mannes. Der musste sich umdrehen, das Geld durch den Schlitz zu sich durchzuziehen. Der Mann war dünn. Sein Gesicht Haut und Knochen. Unter der Kappe keine Haare zu sehen. Der Kopf eine glatte Kugel unter der Kappe. Die Brillenränder blinkten bei seinen Bewegungen. Der Mann erinnerte sie an Trotzki. Die Backenknochen und die Anspannung. Die letzten Bilder von Trotzki. Der Mann zählte die Scheine. Er saß wieder nach vorne gewandt. Im roten Schein. Dann hörte sie das Klicken der
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