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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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diese Stufen. Sie erwartete ein Getöse. Der Alarm. Der Alarm sollte doch losgehen. Sie lief nach rechts. Sie wusste nicht warum. Sie lief einfach auf den Platz. Die Häuserreihe hinunter. Davon. Sie wollte nur in eine Richtung, die niemand erwartete, und sie hatte von sich gedacht, dass sie nach links laufen würde. So schnell wie möglich auf Kensington High Street zurück. Der Platz lang. Schattig. Das Licht nur noch hoch oben. Am Grund des Platzes dämmrig. Der Platz sich weit nach hinten zog. Aber geschlossen war. Kein Gässchen. Keine mews, die aus dem Platz hinausgeführt hätte. Selma hörte zu laufen auf. Sie ging. Sie zwang sich zu gehen. Zu gehen, als wäre sie auf dem Weg. Auf dem Weg irgendwohin. Hier. Sie folgte dem Gehsteig die Häuser entlang. Außen. Sie stand in der linken oberen Ecke. Ein gotisches Gebäude ragte auf den Platz. Die Apsis einer Kirche. Die gotischen Säulchen. Die grotesken Wasserspeier. Die Kirche nicht sehr groß. Wahrscheinlich nicht alt. In der Dämmerung. Sie ging die Mauer entlang. Laub hatte sich an den Strebepfeilern gesammelt. Die Blätter raschelten unter ihren Schuhen. Ihr Gang hier lautlos. Sie drängte sich hinter einen der Strebepfeiler. Schaute um die Ecke. Versuchte zu sehen, was sich bei der roten Eingangstür tat. Sie keuchte. Sie lehnte sich an. Sie stand gelähmt. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie konnte sich selbst nicht dazu bewegen, weiterzugehen. Dem Gehsteig zu folgen und durch die schmale Seitengasse wieder in den Trubel zurückzukehren. Unter Menschen zu kommen. Und sicher da. Die junge Frau. Sie war sicher, dass diese junge Frau gar nicht Susanna Ammannshausen gewesen war. Eine Ähnlichkeit. Eine entfernte Ähnlichkeit. Und diese Person sicher aus Wien gewesen. Aber jemand anderer. Sie musste eine andere sein. Diese Susanna. Die war ehrgeizig gewesen. Die war wahrscheinlich irgendwo an einem kleinen deutschen Theater in Vertrag. Und spielte alle jugendlichen Liebhaberinnen-Rollen auf und ab. Ein Auto bog auf den Platz ein. Ein Taxi. Der große schwarze Wagen fuhr langsam auf den Platz herein. Folgte der Straße. Majestätisch langsam. Der Wagen hielt vor einem Haus in der rechten Ecke oben. Selma überlegte. Stand still. Eine Person war aus dem Auto geklettert. Eine ältere Dame. Sie stand am Fenster des Fahrers. Zahlte. Selma ging los. Die ältere Frau wandte sich ab. Selma blieb stehen. Sie stand am Straßenrand. Das Taxi kam auf sie zu. Die Scheinwerfer waren schon an. Die Lichter steuerten auf sie zu. Selma hob die Hand. Winkte dem Fahrer. Der Wagen fuhr weiter. Wurde nicht langsamer. Selma trat auf die Straße. Der Wagen wich aus. Fuhr an ihr vorbei und hielt so, dass sie nur noch die Tür öffnen musste und einsteigen. Selma brauchte einen Augenblick, die Situation zu begreifen. Sie hatte gedacht, das Taxi führe davon und sie müsse auf die Dunkelheit warten, von diesem Platz wegzukommen. Sie riss die Tür auf und kletterte in den Wagen. Sie müsse zum Waverly House Hotel auf Southampton Row, sagte sie. Der Wagen blieb stehen. Sie wiederholte die Adresse. Sie hörte die Türverschlüsse zuklicken. Dann fuhr der Wagen. Sie sah vor sich hin. Sie schaute nicht nach links. Sie wollte diese rote Eingangstür nicht mehr anschauen müssen.

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    Sie saß im Taxi. Sie konnte den Fahrer kaum sehen. Die Trennscheibe nach vorne mit Hinweisen beklebt. Sie sollte nicht rauchen. Eine Preisliste. Der Nachtzuschlag. Ein Zuschlag für Fahrten an den Rand von London. Ein Zuschlag für Fahrten außerhalb Londons. Die Kosten für die Fahrt nach Heathrow. Nach Gatwick. Sie schaute durch die Seitenfenster hinaus. Der Wagen bog nach links. Sie hätte gedacht, dass sie nach rechts fahren müssten. Aber das war nur ein Gefühl. Sie war froh, in diesem Taxi zu sitzen. Sie beugte sich nach links. Im »Il Portico«. Sie versuchte zu sehen, ob Gilchrist noch da saß. Sie konnte aber nicht weit in das Lokal hineinsehen. Auf der Straße gerade noch heller als in dem Lokal. Die Silhouetten schattig. Nichts genau auszunehmen. Sie dachte, sie hätte den Mann sitzen gesehen. Den Mann vom Nachbartisch. Von hinten. Immer noch essend. Aber sie konnte nicht sicher sein. Der Mann, der in die Wohnung gestürmt war. Der war jünger gewesen als er. Größer. Schlanker. Der hatte hellere Haare gehabt. Er war ähnlich angezogen gewesen wie der im Lokal. Ein Anzug. Dunkel. Der Wagen fuhr. Rechts konnte sie den Himmel sehen. Dunkelblau. Dunkeltintenblau und die Häuser scharfe Umrisse dagegen

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