Entfesselt
gequält zu. »Ich fürchte schon. Dies ist ein Krieg - die sind nicht gekommen, weil sie unser Gold wollen. Sie wollen uns umbringen, jeden Einzelnen von uns. Und das werden sie auch tun, wenn wir sie nicht vorher erledigen.«
»In den alten Tagen war das einfacher, stimmt's?«, stellte Joshua humorlos fest.
»Stimmt«, erwiderte Reyn.
Ich wollte Reyn auf keinen Fall verlassen. Als Daisuke, Roberto und ich gehen wollten, packte Reyn mich am Arm und wirbelte mich zu sich herum. Und dann, vor allen anderen, mitten in einer Schlacht, küsste er mich hart auf den Mund. Er hielt meinen Kopf mit der freien Hand und zischte mir ins Ohr: »Stirb gefälligst nicht, hörst du?«
Ich nickte und flüsterte zurück: »Bevor wir unser >Ding< geklärt haben? Wohl kaum.«
»Willst du jetzt kämpfen oder noch länger mit deinem Mädchen knutschen?« Bei dieser bissigen Bemerkung von Joshua fuhr Reyn zurück und funkelte ihn an.
»Von mir aus kann es losgehen«, sagte er kühl. »Ich sehe dich dann auf der anderen Seite, falls es dir gelingt, deinen Zuckerarsch lebend dorthin zu schaffen.«
Ich sah Joshua grinsen, bevor er mit Amy in die Dunkelheit rannte.
Dann zupfte Daisuke an meiner Hand und ich rannte hinter ihm her. Ich vertrieb alle Gedanken aus meinem Kopf, mit Ausnahme von: Kämpfen. Siegen. Überleben.
Wir drei erreichten das Ende des Tunnels viel zu schnell. Um dem zu entgehen, was über der Erde auf uns wartete, wäre ich gern noch eine Stunde weitergerannt. Aber Daisuke wurde langsamer und blieb schließlich stehen. Mit ausgestreckter Hand gab er uns ein Zeichen, dass wir warten sollten.
»Denkt daran, das da oben sind Unsterbliche«, sagte Daisuke mit gedämpfter Stimme. »Sterbliche wären natürlich besser - leichter zu töten und das auch aus der Entfernung.«
»Wir bräuchten diese Killermelone aus dem James-Bond-Film«, flüsterte ich. »Die könnten wir aus der Entfernung werfen und damit jemand den Kopf abschneiden.«
Beide Männer sahen mich an, dann fuhr Daisuke ohne Kommentar fort. Auch gut. Ich hatte ja nur helfen wollen.
»Wir schleichen uns von hinten an, also müssen wir lautlos vorrücken.«
Roberto nickte. Ich dachte nur: Was du nicht sagst.
Daisuke deutete mit einem Kopfnicken auf mein Schwert.
»Ziel auf die Kehle. Stoß die Klinge hinein und zieh sie seitwärts durch, so hart du kannst. Hast du schon mal jemandem den Schädel abgeschlagen?«
Ich schüttelte den Kopf und mir war ein bisschen schlecht.
»Ich habe bis jetzt nur zugesehen.«
»Es ist schwerer, als man denkt«, sagte Roberto leise. »Auf den Knochen zu treffen, ist ein Schock. Der Trick ist, seine volle Kraft in den Schlag zu legen.«
Okay, jetzt würde ich mich bestimmt gleich übergeben. Groteske Bilder von der armen Katy trafen mein Gehirn wie Vogelschrot. Ich nickte und versuchte weiterzuatmen.
»Ich war froh zu sehen, dass die Angreifer menschlich aussehen und nicht wie Dämonen oder böse Geister«, bemerkte Roberto halblaut.
Ich starrte ihn an. »Böse Geister wären tatsächlich denkbar gewesen? Ich dachte, das sollte ein Witz sein!«
Wieder sahen die beiden mich an. Ich starrte auf meine Füße und versuchte, nicht hysterisch loszuschluchzen.
»Gehen wir!«, rief Daisuke und begann, die in die Wand eingelassenen Metallstufen hochzusteigen.
Ich folgte Daisuke, hinter mir war Roberto. Oben war eine Falltür. Daisuke zog den Riegel zurück und drückte sie dann ganz, ganz langsam auf. Im ersten Moment rührte sie sich nicht, aber dann rieselte eine Ladung Sand auf uns herab, zusammen mit ein paar Blättern und kleinen Zweigen. Ich hielt die Falltür auf und Daisuke glitt lautlos durch die schmale Öffnung.
Nach dreißig Sekunden absoluter Stille hörten wir ein gehauchtes: »Alles klar. Kommt rauf.«
Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich mein Schwert an meine Seite drückte und hinauskletterte. Ich war schweißnass vor Angst und meine Hand schmerzte bereits, weil ich das Schwert so fest umklammert hielt. Ob es zu spät zum Weglaufen war?
Aber dann musste ich wieder daran denken, dass Reyn mich ohnehin schon für feige hielt.
Mist. Mistiger Mist-Mist.
So leise wie möglich stieg ich durch die Falltür und stellte mich daneben auf. Hier hinten war es so dunkel wie in einem Fass - in einiger Entfernung, jenseits des Hühnerstalls, sah ich das Haus. Es brannte bereits. Durch die Flammen war es leichter, die dunklen
Weitere Kostenlose Bücher